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Der letzte deutsche Kaiser

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Wilhelm II. als Kaiser und König. Eine historische Studie von Hans Helfritz. Scientia-Verlag, Zürich.

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Wilhelm II. als Kaiser und König. Eine historische Studie von Hans Helfritz. Scientia-Verlag, Zürich.

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Es war zu allen Zeiten ein ehrenhaftes Beginnen, für eine gefallene Größe einzutreten, und so wird jeder dem Autor für seine Wilhelm II. gewidmete warmherzige historische Verteidigungsschrift Achtung zollen. Zweifellos ist gegen den Kaiser mancher ungerechte Vorwurf erhoben worden — Helfritz weiß dies überzeugend darzustellen. Richtig war zunächst Wilhelms II. Erkenntnis, daß Bismarcks Sozialistenpolitik mit allen ihren damals geheim gebliebenen Planungen in den Abgrund geführt hätte. Sich daraus persönlichen Dank und Anerkennung zu erwarten, war von Seiten des Kaisers menschlich gewiß begreiflich, beruhte freilich auf ungenauer Kenntnis der mit den neu heraufgekommenen Zeiten geänderten Psyche. Daß weder der Panthersprung nach Agadir, noch des Kaisers Landung in Tanger, noch die bekannte Krüger-Depesche der persönlichen Initiative des Kaisers entsprangen, sondern im Gegenteil von ihm mißbilligt wurden, ist eine Tatsache, die Hervorhebung verdient. Der gewandte, allzu gewandte Bülow — der kluge, superkluge Holstein —, der damals viel zu gefeierte Staatssekretär Marschall haben viel geringeren politischen Instinkt und sachliche Einsicht bewiesen als der Kaiser, den sie zu beraten hatten. Die. Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland war ein Fehler, doch war auch hier der Kaiser dem Votum der Referenten gefolgt. Freilich ist es unbegreiflich, wie diese alle so rasch den Mantel nach dem antibismarckischen Winde hängen konnten. Daß der Rückversicherungsvertrag den Weltkrieg nicht verhindert hätte, ist eine Binsenwahrheit. Aber das Aufgeben einer — selbst angenommen nur psychologischen — Bindung, auf deren Aufrechterhaltung der Verhandlungspartner noch dazu Wert gelegt hatte, war in einer labil gewordenen Weltlage unstreitig ein Mißgriff, der gewiegten Diplomaten nicht hätte passieren dürfen. Nahe an den Weltkrieg heran, vor allem jedenfalls an den gefürchteten Dreifrontenkrieg, führte dagegen die unglückselige Flottenpolitik Wilhelms II. Der Referent muß es sich versagen, hier die eingehenden Argumente zu wiederholen, die er in einem diesbezüglichen Referat bereits einmal vorgebracht hat. ‘„Der Kampf um den Dreizack", „Furche" Nr. 29 vom 19. Juli 1952. So ist das Lob, das Helfritz der Flottenpolitik des Kaisers spendet siehe Seite 269, unverständlich. Sie hat die Rückendeckung zur See, ohne die Deutschland jeden kontinentalen Krieg unbedingt verlieren mußte, zerstört, ohne auf der schmalen maritimen Basis des Nordseedreiecks Aussicht auf Erfolg zu haben. Der erste und der zweite Weltkrieg haben dies bestätigt, und Bismarck war hier der superiore Verstand, der ohne Prestigebedenken die Deutschland nicht nötig hatte sich mit der Vormacht auf dem Kontinent begnügte. Nach dem Dreizack zu greifen, lag dem alten Fürsten meilenfern. Im Kriege 1870 gab es keine deutsche Flotte, und die gesicherte britische Neutralität genügte, die Heimatküsten zu schützen. Damit ist einer der wunden Punkte der kaiserlichen Politik und Psyche berührt: das Prestigebedürfnis.

Was nützte der ehrlichste Friedenswille und er wird dem Kaiser ausdrücklich zu bestätigen sein, wenn jeden Augenblick in einer Enunziation jemand „zerschmettert" wurde. Was nützte die ehrlichste Menschlichkeit, wenn in der unseligen „Hunnenrede" an das nach China abgehende Expeditionskorps zu hören war: „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht." 27. Juli 1900. Was wurde von Wilhelm II. in dieser demonstrativen, überlauten Art nicht alles gesprochen, nein, verkündet: Von den Marginalien auf den Akten, deren burschikose Forschheit schon Bismarck dienstliche Sorgen bereitet hatte, bis zum „Admiral des Atlantiks", der den „Admiral des Pazifiks" grüßte; beide Herrscher ausgesprochener Kontinentalstaaten!

Das ist es auch, was als „persönliches Regime" in die Geschichte einging: die Freude am hallenden Wort, an der aufrüttelnden, sensationellen Wendung der große Skeptiker Bismarck hat über die rauschende nationale Phrase realistischer geurteilt, die wechselnde, stimmungsbedingte Impulsivität, die Suggestionskraft, welche den zweifellos höchst begabten, aber sein Leben lang schlecht äquilibrierten Herrscher zu einem Motor letztlich nicht gewollter Effekte werden ließ. Niemand im Ausland wußte, wer in Berlin wirklich regierte und nach welchen Grundsätzen dies geschah. Ueber dies alles liegen beliebig viele Zeugnisse vor. Es ist wahrhaft tragisch für Deutschland und seinen letzten Herrscher, daß beiden diese nicht bis ins letzte reichenden Charakterschwächen unendlich mehr geschadet haben, als des Kaisers wahrhafte Frömmigkeit, Friedensliebe und das Beispiel seines vorbildlichen Familienlebens nützen konnten.

Helfritz’ Studie ist ein Werk aufrichtiger Loyalität. Die staatsrechtlichen Ausführungen seien besonderer Beachtung empfohlen. So fehlerlos, wie dieser getreue Diener seinen dahingegangenen Herrscher sieht, war dieser freilich nicht. Aber das „res victa Catoni placuit.. ." bleibt immer ein anerkennendes Wort.

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