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Katholisches Lehrertum in der Großstadt

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Wenn man den unter großer Anteilnahme der katholischen Oeffentlichkeit jüngst gefeierten 60jährigen Bestand der Katholischen Lehrerschaft Wiens zum Anlaß für eine Existenzanalyse dieser kulturell so hochverdienten Vereinigung machen will, so könnte man einem solchen Versuch kein besseres Wort voranstellen als die Ueberlegungen, die Otto Willmann an der Wiege dieser Gemeinschaft der katholischen Lehrerorganisation in Oesterreich widmete. Er schrieb damals: „Die Aussichten der katholischen Lehrerorganisation sind hoffnungsreiche, weil sie nicht von vorübergehenden Zeitströmungen veranlaßt ist, sondern ihren Ursprung hat in der Besinnung auf die Pflicht, in dem Erstarken gesunder Einsicht und in dem guten Willen, der den Frieden sucht und Gott die Ehre gibt.' — Treffen diese Kennzeichen in der Hauptsache auch heute für die katholische Lehrerschaft Wiens zu, dann besteht auch die Zuversicht Willmanns noch für uns zu Recht [

Es ist ein Stück genialer Wesensschau, in der unser großer katholischer Pädagoge die U n a b- hängigkeit von den wandelbaren Zeitströmungen allem anderen voranstellt. In der Sprache unserer Tage bedeutet das den unpolitischen Charakter — was nicht politische Ignoranz sein darf — des Vereines, der eben dadurch 60 Jahre ein Sammelpunkt, ein wahres weltanschauliches Kristallisationszentrum der katholischen Lehrer Wiens ist.

So viele Schwierigkeiten sich aus dieser Stellung auch ergeben und so groß die Gefahr eines Zuviel oder Zuwenig an Querverbindung zu den vorhandenen politischen Kräftegruppen ist, die das Wollen des christlichen Lehrers auf der

'Cfcene dėS Parteilebėhs ffltegrieren; es ist und bleibt aber doch gerade diese Unabhängigkeit eine innere Kraftquelle und ein äußeres Anziehungsmoment für viele Menschen dieses Standes, dem eine gewisse Distanz zur Parteipolitik sicher zugute gehalten werden darf.

Zweifellos stehen wir gegenwärtig vor einer ebenso verständlichen wie unerfreulichen Hypertrophie des politischen Faktors im öffentlichen Leben. Verständlich, weil nach der Diktatur der NSDAP ein elementarer Aufbruch des Wunsches nach freiem Kräftespiel der politischen Meinungen kommen mußte; unerfreulich, weil dadurch eine Verpolitisierung eintrat, die ungebührlich weit geht, die der persönlichen Leistung und Haltung abträglich werden kann.

Wenn in dieser Situation der Ruf nach der Respektierung politikfreier Räume immer stärker laut wird und der Kanzler selbst manch mahnendes Wort spricht, so gilt das gerade für den Kulturbereich und somit in eminentem Sinn von der Schule.

Liegt in dieser Stellung als unpolitische, aber weltanschaulich klar bestimmte Standesorganisation das eine große Aktivum der Katholischen Lehrerschaft Wiens, so ist das andere in allen den Traditionen und Institutionen der Vereinigung zu sehen, mit denen sie der berufsethischen Haltung, dem Standesbewußtsein und der mutigen Vertretung der pädagogischen Wahrheit dient.

Wieder ist es Otto Willmann, der schon im Jahre 1909 (!) den Bestand der katholischen Lehrerorganisation für so dringend notwendig erachtet, weil sonst der ganze Stand in die Gefahr gerät, „einem charakterlosen Servilis- m u s gegen die jeweiligen Machthaber zu verfallen“. — In den abgelaufenen 60 Jahren ihres Bestandes hat die Katholische Lehrerschaft Wiens die Rechte, das Ansehen und die Stellung unseres Standes dagegen verteidigt, daß er als Werkzeug oder Handlanger für außerpädagogische Zwecke mißbraucht wird, was der einzelne Lehrer auch bei tapferster Haltung gar oft gegenüber den massiven Ansprüchen der „Machthaber“ nicht mehr durchzuhalten vermag, wohl aber eine echte Gemeinschaft.

Die Achtung vor dieser Unabhängigkeit, die mehr als einmal auch gegenüber nahestehenden Personen und Kreisen bewiesen werden mußte, hat der Katholischen Lehrerschaft nicht nur Sympathien eingetragen, sie hat ihr auch viele wertvolle Menschen zugeführt und ist in manchem Wahlergebnisse des Berufsstandes zum Ausdruck gekommen.

Die Wahrnehmung des gesamten Umkreises der Standesinteressen, in der Willmann Essentielles unserer Organisation gesehen hat. zwang und swingt immer wieder zu freimütiger Kritik, der offenkundige Ernst und Erfolg in dem Bemühen um die fachliche Fortbildung der Mitglieder ermächtigte die Katholische Lehrerschaft zu jener Besonnenheit gegenüber dem pädagogischen Enthusiasmus und Illusionismus, der eine der größten Gefahren für den gesunden Fortschritt des Schulwesens ist, weil dann schwere Rückschläge unvermeidlich werden und weil gar oft politische Konterbande unter den wehenden Fahnen des Reformeifers mitgeführt wird.

Gegenüber beidem aber beginnt die ernste Verantwortung, die eine Organisation von der Zielsetzung und der Ausdehnung der Katholischen Lehrerschaft zu tragen hat. Mitverantwortlich für die Schicksale des Schulwesens und des Berufsstandes, das ist Verpflichtung nach außen und nach innen.

Es waren die besten Zeiten und werden wohl auch künftig die erfolgreichsten Epochen der Katholischen Lehrerschaft sein, in denen diese höhere Verantwortung die Gesamtlinie des Verhaltens der Organisation bestimmt und auch die Grenzen jeder Zusammenarbeit mit anderen Gruppen klar erkennen läßt.

Möglichst wenig Mit-Läufer und lauter Mit- Glieder zu haben, das ist die innerorganisatorische Devise, unter der die Erfolge der Kampfzeiten — denn immer wieder kamen solche — errungen wurden. Ein gewisses Maß von U n- bedingtheit hat dabei starke Anziehungskraft auf die Jugend des Lehrstandes auszuüben vermocht. Diese Wesensmerkmale gilt es zu erhalten, sie sind die besten Garanten für eine gesunde weitere Entwicklung der Katholischen Lehrerschaft Wiens.

Wer den Mut hat, gegenüber den vielen Verlockungen des Scheines und des Augendienstes, der in den kollektiven Lebensformen der Großstadt so üppig gedeiht, aus den tieferen Verpflichtungen christlicher Weltanschauung und

I.ebensdeutungen auch im schulischen Bereiche der W a h r h e i t die Ehre zu geben, dem gehört auch hier noch immer die Zukunft. Und in der Pflege einer edlen Kollegialität, die eine volle zu nennen ist, weil sie den ganzen Menschen umfaßt und sich auch um die letzten Entscheidungen nicht in höflicher Verlegenheit herumzudrücken braucht, liegt das Geheimnis der Zusammengehörigkeit jener katholischen Lehrer und Lehrerinnen Wiens, die in immer neuer Generationenfolee durch 60 Jahre diese Organisation mit Geist und Leben erfüllen und eine der Wagenden Säulen des katholischen Volkes in Oesterreich geworden sind!

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