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Lohn der Heimkehr

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Bevor die Abgeordneten die wohl wichtigste Debatte über die Orientierung des VI. französischen Wirtschaftsplanes abführen — 27 Stunden sind vorgesehen —, versuchten sie eines der traurigsten Kapitel der jüngsten Nachkriegsgeschichte zu liquidieren. Es ging darum, die Algerienheimkehrer, besser bekannt unter dem Spitznamen „Schwarzfüße“, zu entschädigen und sie damit endgültig über den Verlust der Heimat hinwegzutrösten und in die nationale Gemeinschaft einzugliedern.

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Bevor die Abgeordneten die wohl wichtigste Debatte über die Orientierung des VI. französischen Wirtschaftsplanes abführen — 27 Stunden sind vorgesehen —, versuchten sie eines der traurigsten Kapitel der jüngsten Nachkriegsgeschichte zu liquidieren. Es ging darum, die Algerienheimkehrer, besser bekannt unter dem Spitznamen „Schwarzfüße“, zu entschädigen und sie damit endgültig über den Verlust der Heimat hinwegzutrösten und in die nationale Gemeinschaft einzugliedern.

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Ja, es ist viel Zeit verflossen, seitdem im Friedensvertrag von Evian 1964 Algerien aus dem Staatsverband entlassen wurde und das Schicksal von eineinhalb Millionen weißer Algerier offenstand. Die Unterhändler de Gaulles hatten mit Nachdruck um die wirtschaftliche Zukunft und den Verbleib der Algerien-Franzosen in Nordafrika gekämpft. Sie glaubten, genügend Schutzklauseln in die Verträge eingebaut zu haben, die das harmonische Hineinwachsen der weißen Siedler in den jungen Staat gewährleisten würden.

Doch fast eine Million Siedler strömte 1964 in das Heimatland zurück. Sie besiedelten aus klimatischen Gründen Südfrankreich und die Mittelmeerregionen. Kleinere Kolonien bildeten sich in Spanien und südamerikanischen Ländern. Das Zurückfluten dieser durch Generationen in Algerien seßhaften Franzosen wurde von den Behörden des Mutterlandes mit Sorge registriert. Die schon kritische Situation des Wohnraumes verstärkte sich gewaltig. Es war nicht leicht, diesen „Schwarzfüßen“ entsprechende Positionen im Wirtschaftsleben anzubieten. Viele von ihnen bauten sich allerdings, gemäß ihrer Tradition als Kolonialvolk, in wenigen Jahren Betriebe auf. Die Energie, mit der sie ihr Schicksal meisterten, verdient Bewunderung. Einzelne Präfekturen und lokale Behörden unterstützten mit Eifer die neuen Bürger, andere wiederum zeigten sich verschlossen und hielten die Flüchtlinge aus politischen Gründen („Das sind doch alles Bombenwerfer und Extremisten!“) von einer definitiven Ansied-lung ab.

Mit 333 Stimmen gegen 110 hat nun das Parlament einen vorläufigen Schlußstrich unter dieses Drama gesetzt und den Rückkehrern eine finanzielle Entschädigung für den Verlust ihrer Güter in Algerien zugesagt. Diese Entschädigungen erflie-ßen im Rahmen des normalen Budgets. Die oft erörterte Gründung eines eigenen Fonds, gespeist durch die Ausgabe zusätzlicher Staatsgut-Scheine, wurde fallengelassen. Seit acht Jahren hatte der Staat den Rückkehrern 16 Milliarden Franc zur Verfügung gestellt, ohne damit einen direkten Lastenausgleich in Angriff zu nehmen. Das dem Parlament vorgelegte Gesetz stieß auf Widerstand sämtlicher Fraktionen. Selbst der Bruder des Fmanzministers Giscard d'Estaing, der als Abgeordneter einen Wahlkreis am Mittelmeer vertritt, weigerte sich entschieden, das Projekt des Finanzministers gutzuheißen. Olivier Giscard d'Estaing schrie in ehrlicher Gewissensnot auf: „Ich halte dieses Gesetz für ungenügend! Nur 14 Prozent der verlorenen Güter würden demnach ersetzt, nämlich 7 Milliarden von 50.“ Der junge Abgeordnete der unabhängigen Republikaner schlug eine Erhöhung der Entschädigungsansprüche um 50 Prozent vor.

Das Gesetz war von vornherein mit einer juridischen Spitzfindigkeit beschwert. Nicht der französische Staat entschädigt die Rückwanderer, er gewährt lediglich einen Vorschuß auf jene Schulden, die Algerien durch die Inbesitznahme dieser Güter gegenüber den früheren Mitbürgern eingegangen ist. Es handelt sich natürlich um eine Fiktion, denn niemals wird Algerien für die Enteignung der „Schwarzfüße“ auch nur einen Centime bezahlen.

Die Pariser Regierung zeigte sich den Wünschen der Abgeordneten und dem Drude der Vertriebenenverbände aufgeschlossen. Sie kalkulierte die Entschädigung nach verbesserten Tarifen. Demnach steigert sich die Zahl der Bezugsberechtigten, die 80 Prozent ihres ehemaligen Eigentums gesetzlich beanspruchen können, von 50 auf 60 Prozent. Die Zahl jener, die bis zu 50 Prozent ihres Eigentums erwarten, erhöht sich von zwei Dritteln auf drei Viertel, und dies bedeutet für den Staat eine zusätzliche Belastung von 500 Millionen jährlich durch drei Jahre. Auch Ehepaare, die über getrenntes Vermögen verfügten, können ihre Forderungen voll erheben, wodurch eine progressive Erhöhung der Wiedergutmachung erfolgt. Wie wirkt sich dies in der Praxis aus? Bei einem Anspruch von 20.000 Franc werden 100 Prozent refundiert Bei 100.000 Franc 45 Prozent und bei 500.000 Franc (die oberste Grenze) werden 16 Prozent rückerstattet. Die Regelung berücksichtigt kleinste und kleine Vermögen, respektiert die mittleren und vernachlässigt die großen.

Die Heimkehrerverbände sind über die Annahme dieses Gesetzes höchst unzufrieden und antworteten bereits mit der Besetzung öffentlicher Gebäude.

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