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Mitbestimmung und Mitentscheidung

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Um das Mitbestimmungsrecht wird heute viel diskutiert. Es wurde besonders von den Rednern des Gewerkschaftskongresses konkret gefordert, ohne daß näher erklärt wurde, was unter diesem Mitbestimmungsrecht zu verstehen ist. Das Mitbestimmungsrecht wurde erstmalig am Katholikentag in Bochum im Jahre 1949 gefordert. Daran hat sich eine sehr weitgehende Diskussion geknüpft, nicht etwa nur von Vertretern der Dienstnehmer, sondern auch von Unternehmerseite. Von dieser war es besonders Dinkelbach, Generaldirektor der Vereinigten Eisen- und Stahlwerke, der sich für die Durchführung des Mitbestimmungsrechts einsetzte. Um die Diskussion war es in Deutschland eine Zeitlang still, und erst die Rede des Hl. Vaters beim Empfang der Mitglieder des Kongresses der Internationalen christlich-sozialen Vereinigung und des Internationalen Instituts für Sozialwissenschaft und Politik in Freiburg in der Schweiz vom 3. Juni 1950 hat sie wieder entfacht. Schließlich kam es nach Diskussionen und Kämpfen zum G e- setz über die Mitbestimmung der Arbeiter im Unternehmen des Bergbaues sowie der eisen- und st ah ler zeugenden Industrie in Deutschland . Dieses Gesetz sieht ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und in den zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organen vor. Im Vorder-

gründ steht die Person des Arbeitsdirektors, der als Vertreter der Dienstnehmer dem Vorstand angehört und dem die gleichen Rechte wie den übrigen Vorstandsmitgliedern zustehen. Ich glaube, daß dieses Gesetz keine letztgültige Lösung darstellt und von einem Mitbestimmungsrecht der Dienstnehmer hier schlechthin kaum gesprochen werden kann, noch dazu, wenn die Besetzung der fünf Aufsichtsratsstellen und die Besetzung des Arbeitsdirektors nicht vom Willen der Belegschaft des Betriebes abhängt, sondern die Gewerkschaften einen weitgehenden Einfluß auf diese Besetzung ausüben. Man muß also mit Recht fragen, wo denn eigentlich das Mitbestimmungsrecht bleibt und wie es sich auswirkt.

Dr. Kottulinsky hat erst kürzlich in der „Furche“ das Problem der Partnerschaft angeschnitten und die Mitbestimmung als eine Utopie, die Mitwirkung als eine reale Möglichkeit erklärt. Als Wurzel des Verlangens nach Mitbestimmung sieht der Verfasser den Mangel an Vertrauen an. Wenn auch vielleicht Erfahrungen aus der Vergangenheit und zum Teil noch aus der Gegenwart in einem gewissen Ressentiment ihren Niederschlag finden mögen, so ist das Verlangen nach Mitbestimmung doch nicht nur mit Mangel an Vertrauen zu begründen. Es wird auch gelegentlich behauptet, es sei gar keine Forderung der Arbeiterschaft, sondern werde nur künstlich in die Betriebe hineingetragen, um der Interessenvertretung eine entsprechende Machtposition in den Betrieben selbst zu sichern. Ich glaube jedoch, daß das Verlangen tiefere, in der Natur des Menschen begründete Ursachen hat. Man kann daher nicht nur von einer Forderung der Gewerkschaft, sondern von einem tatsächlichen Anliegen der Arbeiterschaft sprechen. Die Arbeiterschaft hat sich im Laufe der sozialen Bewegung zu pin Am bedeutenden Faktor der Gesellschaft emporgearbeitet. Sie hat sich die soziale und politische Gleichstellung errungen. Ihr ist aber bisher die wirtschaftliche Gleichstellung trotz aller sozialen und politischen Errungenschaften im Laufe der Jahrzehnte verschlossen geblieben. Zur menschlichen Persönlichkeit gehört eben auch eine gewisse Geltung, ein Anerkanntsein und ein Entscheidungs- und Verantwortungsrecht. Der Mensch hat von Natur aus das Bedürfnis nach Mitgestaltung in allen Lebensbereichen. Er will aber nicht nur gehört werden, sondern er will auch in irgendeiner Form mitgestalten, also Entscheidungen treffen und diese Entscheidungen auch verantworten. Dies ist die tiefere psychologische Ursache, daß der Arbeiter trotz seiner sozialen Besserstellung sich immer noch klassenbewußt als Proletarier fühlt. Wir sind aber in eine Epoche eingetreten, in der nun dieses Mitgestaltungsrecht in Form der Mitbestimmung zum Anliegen der Arbeiterschaft selbst wird, als Drang nach Tätigkeit und als aktive Anteilnahme an der Wirtschaft. Es ist vielleicht dieses Mitbestimmungsrecht und seine Gestaltung die schwerwiegendste sozialpolitische Entscheidung unserer Zeit und damit der Beginn einer neuen Epftche.

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