6702416-1963_37_03.jpg
Digital In Arbeit

Völker, entbehrt die Signale

Werbung
Werbung
Werbung

Der Weltkommunismus hat seine ideologische Einheit und damit sein eigentliches Raison d’etre verloren. Die Geschlossenheit, die Unduldung jeder Abweichung von der durch die Spitze festgelegten Theorie und Praxis bildeten die Kernidee der kommunistischen Bewegung; ihretwegen hatte sie sich aus der Sozialdemokratie herausgespalten. Revolutionäre Sozialisten hatte es auch vordem gegeben, nicht aber solche, die bereit waren, ihre gemäßigteren Genossen politisch und physisch zu liquidieren.

Der moderne Kommunismus verdankte seine Entstehung zwei Annahmen; einer richtigen und einer irrtümlichen. Die erste bestand darin, daß das russische Reich — dessen Entwicklung unter anderem durch eine kaiserlich-feudale Despotie aufgehalten worden war — nicht anders als durch eine moderne Despotie, ausgestattet mit sozialistischen Ideen und Formen, wei- tergehracht werden könne. Diese Annahme bildete das hauptsächliche Theorem, welches die Entstehung des Vorbilds aller kommunistischen Parteien, der alten bolschewistischen Partei, inspirierte.

Die zweite Annahme entstand unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges und der großen Enttäuschung im internationalen Sozialismus über die Unfähigkeit der alten sozialistischen Parteien, den Krieg zu verhindern. Eine neue internationale Partei, ausgestattet mit extrem zentralen Vollmachten, rigoroser Disziplin und ideologischer Geschlossenheit, sollte — mit der russischen bolschewistischen Partei und deren intransigenten Führung als Kern und Vorbild — den Sozialismus sofort errichten und damit eine zweite Weltkatastrophe verhindern.

Ein Österreicher redet Lenin den Kommunismus ein

Es gibt eine hübsche Geschichte darüber, wie es zur Gründung der Kommunistischen Internationale gekommen igfjmd .welche Rolle ein dabei,gespielt hat. Isaak D e uts c n e r erzählt sie in seiner, Trotzk-i-Bio-,. graphie:’

„In den ersten Wochen des März 1919… eröffnete Lenin (in Moskau) eine Versammlung von rund vierzig Delegierten verschiedener linkssozialistischer Gruppen des Auslandes … Da sie lange vom Westen völlig abgeschnitten waren, hörten sich die Bolschewiki begierig an, was die Delegierten über den Stand der Dinge im Ausland zu berichten hatten. Die Berichte waren verworren und widersprechend, aber man wog sie gegeneinander ab; so schienen sich die Erwartungen einer baldigen (Welt-) Revolution zu rechtfertigen.

Der Zweck der Konferenz war nicht ganz klar. Die Bolschewiki neigten dazu, die neue Internationale an Ort und Stelle zu gründen, aber sie warteten, um die Meinung der ausländischen

Delegierten zu 'vernehmen. Die wichtigsten unter ihnen, die deutschen, glaubten, daß die auf der Konferenz vertretenen Gruppen — mit Ausnahme der russischen Partei — zu schwach seien, um sich als eine regelrechte Internationale zu konstituieren. Aber ein österreichischer Delegierter, der nach einer abenteuerlichen Reise mitten in der Debatte anlangte, schilderte packend, wie es in Europa überall gärte, und forderte die Konferenz leidenschaftlich auf, sofort das Banner der neuen Internationale aufzupflanzen. Die Konferenz versagte es sich nicht: sie konstituierte sich als der Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale. So hatte die große Institution den Wunsch zum Vater, die Verwirrung zur Mutter und den Zufall zum Geburtshelfer …"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung