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Vorsicht: Landreform!

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Durch die von Fidel Castro in Kuba neuerdings proklamierte Landreform ist auch in anderen lateinamerikanischen Ländern das Problem einer besseren Verteilung des Grundbesitzes eifrig diskutiert worden. So schickt sich zum Beispiel auch die Regierung Betancourts in Venezuela an, eine ähnliche Lösung zu versuchen.

Die städtische Arbeiterklasse hat in fast allen diesen Ländern große Erfolge auf dem Gebiet der sozialen Gesetzgebung erzielen können und sich auch fast überall gewerkschaftlich organisiert. Es gibt Medikamente, Krankenhäuser, Ambulatorien und geregelte Arbeitszeiten. Durch den Ausbau der Schulen verschwindet allmählich der Analphabetismus in den Städten. Anders ist die Situation auf dem Lande. Man darf nicht vergessen, daß mehr als 50 Prozent der Gesamtbevölkerung Iberoamerikas in Dörfern oder Einzelgehöften leben. Die große Masse dieser „campesinos“ genießt keinerlei sozialen Schutz. Entweder stehen sie noch in patriarchalischer Abhängigkeit von einem Haz.ien- dado oder bauen sie irgendwo im Hinterland gerade das Notwendigste für sich und ihre Familien. Ihre Ueberschußgüter haben ja aus Mangel an Transportwegen keinen Absatzmarkt. Anderseits kommt diese große Masse der Bevölkerung auch nicht als Verbraucher industrieller Güter in Frage und vegetiert praktisch nur auf einem Existenzminimum.

Schulen gibt es auf dem Lande nur wenige, und die sind schlecht. So bleibt dieser Teil der Bevölkerung Analphabeten. Auch Aerzte kommen nur selten in die Dörfer. Die überwiegende Mehrzahl der Bauern leidet oft schon von Kindheit an an Bilharzia, Malaria oder Wurmkrankheiten. Dazu kommen noch Unterernährung und häufige Epidemien, die durch großzügige Schutzimpfungen zu unterbinden wären. Die Kindersterblichkeit ist hoch. Ein großer Teil der Kinder und Erwachsenen ist fast ohne religiöse Betreuung. Die Pfarren sind oft viele hundert Quadratkilometer groß und der Priester kommt nur selten mit den Mitgliedern der Gemeinde zusammen.

Aus allen diesen Gründen verstärkt sich natürlich der Ruf nach Abhilfe dieser Mißstände in vielen Ländern des Kontinents, besonders . seitdem die Diskrepanz zwischen dem Leben auf dem Lande und in der Stadt fühlbar wurde und immer mehr „campesinos" ihr Glück in den wachsenden Metropolen suchen. Die Abwanderung der Bauern bringt aber eine Verringerung der landwirtschaftlichen Produktion mit sich und bedingt erhöhten Lebensmittelimport; außerdem ist die Anpassung der Leute an die völlig geänderten Verhältnisse nicht so selbstverständlich. Die „ranches“, die aus Pappe und Wellblech erbauten Elendshütten am Rande der Städte zeugen davon. Meist ist es schwer, Arbeitsplätze für diese Armen zu verschaffen.

In verschiedenen Ländern des Kontinents wurden also Landreformen durchgeführt, meist als Ausdruck diktatorischen Machthungers oder politischer Strömungen. Da wurden blühende Hazienden und Latifundien, die nach neuesten wissenschaftlichen Methoden bebaut wurden, einfach konfisziert und das Land ziemlich übereilt an Taglöhner und Arme verteilt. Der erwartete Erfolg blieb aber fast immer aus.

Wenn man nun noch bedenkt, daß nur etwa 5 Prozent der theoretisch für die Landwirtschaft geeigneten Nutzfläche in Südamerika bisher u r b a r gemacht wurde ergibt sich aus dem bisher Gesagten, daß nichts damit gemacht ist, blühende Latifundien zu zerstückeln und hochproduktive Farmen zu vernichten. Hingegen wäre es sicherlich besser, neues Land urbar zu machen, Straßen in die fruchtbaren Anbaugebiete zu bauen, um den Abtransport der erzeugten Güter zu ermöglichen, und das an 1 Kleinfarmer verteilte Neuland so wirklich nutzbar zu machen. Außerdem müßte man diese Neubauern mit Maschinen und Saatgut ausstatten und staatliche Experten sollten neue und bessere Pflanzungsmethoden einführen. Versuche dieser Art wurden in Venezuela mit europäischen Siedlern gemacht und haben große Erfolge gezeitigt. Aber es ist sicherlich leichter, derartige Experimente mit Einwanderern zu machen, die bereits einen Grundstock an traditionsgebundenem' Wissen um methodische Landwirtschaft mitbringen. Darum wird ja auch die Immigration landwirtschaftlicher Fachkräfte in den meisten südamerikanischen Ländern gefördert.

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