Almwirtschaft: Tradition und Blutdoping
265.000 Rinder verbringen in Österreich die Sommermonate auf der Alm. Dieser Tage finden sie den Weg zurück ins Tal. Volkskundler Heimo Schinnerl über die Hintergründe des „Almabtriebs“, die Vorzüge der Almwirtschaft und die Sehnsucht nach Einfachheit.
265.000 Rinder verbringen in Österreich die Sommermonate auf der Alm. Dieser Tage finden sie den Weg zurück ins Tal. Volkskundler Heimo Schinnerl über die Hintergründe des „Almabtriebs“, die Vorzüge der Almwirtschaft und die Sehnsucht nach Einfachheit.
Blumenkränze, Glockengeläut und Juchitzer: Derzeit finden in vielen Gemeinden Österreichs farbenprächtige Almabtriebe statt. Heimo Schinnerl, Leiter der volkskundlichen Abteilung im Landesmuseum Kärnten, über die Bedeutung dieses Ereignisses, Folklore versus Tourismus – und die neu erwachte Sehnsucht nach dem einfachen Leben.
DIE FURCHE: Almabtriebe kennen die allermeisten höchstens noch aus Heimatfilmen. Wie sind sie volkskundlich zu deuten? Und inwiefern handelt es sich bei ihnen mittlerweile eher um touristische Events?
Heimo Schinnerl: Grundsätzlich ist jeder Almabtrieb als Ausdruck der Dankbarkeit zu verstehen. Bekränzt werden die Tiere ja nur, wenn in den Sommermonaten kein Unheil passiert ist und alle wieder gesund die Alm verlassen können. Dann werden Leitkühe mit bunten Bändern und mit Almkräutern wie Buchsbaum oder Speik geschmückt. Leitstiere bekommen oft ein noch prächtigeres Arrangement aus Papierblumen oder einen Spiegel, der gegen Böses wappnen soll. Früher gab es auch ganz besondere Speisen: Zu diesem Anlass stellten Sennerinnen die sogenannten Rumplernudeln her – eine Art Mini-Krapfen, die in Schmalz herausgebacken werden – oder die käseartigen Schottkugeln. Ein Teil des Festmahls ist auf der Alm genossen worden, den Rest nahm man beim Abtrieb mit ins Tal und beschenkte damit Leute, denen man unterwegs begegnete. Zum Spektakel verkommt der Almabtrieb dann, wenn Darstellungssucht im Vordergrund steht oder Medien das Ganze stark überzeichnen – nicht zuletzt auch deshalb, weil das vom Publikum erwartet wird.
DIE FURCHE: Und wie ist der Almabtrieb traditionell vonstattengegangen, wenn im Sommer ein Unglück passiert ist?
Schinnerl: Wenn etwa ein Tier gestorben ist, wurde mitunter „still“ abgetrieben. In einem solchen Fall wurden sogar die Kuhglocken mit Gras ausgestopft, damit ihr Läuten beim Almabtrieb nicht auf das aufmerksam machen konnte, was passiert war. Darüber hinaus gibt es auch trotz eines erfolgreichen Almsommers ganz unspektakuläre Almabtriebe – etwa dann, wenn das Vieh durch einen vorzeitigen Wintereinbruch in Gefahr ist und mit Kraftfahrzeugen ins Tal gebracht werden muss.
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