Denn am Ende steht man doch alleine da ...

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Die Wissenschaft streitet heftig darüber, ab wann menschliches Leben beginnt. Was aber geschieht danach? Ein Familienvater fordert, dass die Frage nach dem "Schutz des Lebens" ganz anders gestellt werden müsste.

In der öffentlichen Diskussion um den Beginn des Lebens geht es eigentlich nur am Rande darum, wann das Leben wirklich beginnt. Es geht vielmehr darum, ab wann der Schutz des Lebens einsetzen soll. Und hier prallen die Meinungen - je nach ideologischem Standpunkt - unversöhnlich aufeinander. Es geht gar nicht so sehr um Sachargumente, es geht vor allem darum, den je eigenen Standpunkt mit allen sich bietenden Begründungen zu untermauern.Und da finden sich viele objektivierungsfähige Anknüpfungspunkte, von der Zeugung über die Geburt bis hin zum eigenständigen Bewusstsein.

Moderne Diskurstheoretiker vertreten die Hypothese, der Austausch vernünftiger Argumente im herrschaftsfreien Diskurs sei geeignet, zu sachgerechten, gemeinsam anerkannten und dem gemeinsamen Interesse am besten dienenden Lösungen zu kommen. Wer irgendeinen Gegenbeweis sucht, findet ihn hier.

Dabei könnte die Frage doch ganz anders gestellt werden: Es geht ja nicht allein darum, welche objektiven Sachverhalte uns zwingen, ab einem bestimmten Zeitpunkt das werdende Leben zu schützen und zu bewahren. Es geht doch nicht weniger darum, ab welchem Zeitpunkt wir selber bereit sind, Verantwortung zu übernehmen

Der gläubige Mensch wird seine Orientierung aus der - gerade im Christentum sehr klaren - Aussage seiner Religion gewinnen. Wem der Glaube abgeht, der wird bei der Wissenschaft um Orientierung nachfragen. Aber von dort bekommt er recht unterschiedliche Antworten. Um die Bereitschaft zur eigenen Verantwortung wird er trotzdem nicht herumkommen. Wir können uns nicht davor drücken, Eigenverantwortung zu übernehmen, auch nicht dadurch, dass man Zuflucht bei der Wissenschaft sucht. Diese wäre ohnehin auf ganz anderem Gebiet gefordert, und könnte dort viel unmittelbarer zur Entschärfung der Problematik beitragen.

"Hoffnungsloser Fall"

Dazu ein praktisches Beispiel: Meine Frau und ich hatten einen mongoliden Sohn. Wir haben uns von Anfang an bemüht, ihm das bestmögliche an Ausbildung und ärztlicher Hilfe zukommen zu lassen. Damals, in den sechziger Jahren, war es mehr als schwierig, einen geförderten Kindergartenplatz und anschliessend die Aufnahme wenigstens in die allgemeine Sonderschule zu erreichen. Es hat sich aber ausgezahlt. Unser Sohn Martin lernte Lesen und Schreiben, entwickelte eine Vorliebe für Geschichtsbücher und interessierte sich auch für Politik. Daneben bemühten wir uns auch um ärztliche Unterstützung seiner Entwicklung. Das begann nicht sehr hoffnungsvoll. Noch in der Kinderklinik hörten wir von ärztlicher Seite, Martin werde nicht einmal in der Lage sein, eine längere Treppe hinaufzusteigen. Tatsächlich lernte er dann hervorragend Schwimmen und konnte sogar leidlich Schifahren.

Das Wissen wäre da

In ganz Österreich fanden wir einen einzigen Arzt, der sich auf die Förderung behinderter Kinder konzentrierte, den leider zu früh verstorbene Professor Andreas Rett, und in ganz Deutschland einen einzigen Leiter einer Kinderklinik (Wunderheiler wollten wir nicht), Professor Schmid in Aschaffenburg, der Ansätze zu einer medikamentösen Therapie entwickelte.

Professor Rett hat selbst von einem "therapeutischem Nihilismus" der Schulmedizin gegenüber mongoliden Kindern gesprochen. Nun ist eine Chromosomendevianz tatsächlich nicht heilbar. Aber es ist ja nicht die Chromosomenkonstellation allein, die Defekte verursacht. Es ist in jedem Fall eine komplexe Wirkungskonstellation, die Chromosome beziehungsweise die DNA-Struktur wirksam werden lässt. Anlässlich der Entschlüsselung des menschlichen Genoms und der Erkenntnis seiner enormen Ähnlichkeit mit der DNA-Struktur wesentlich primitiverer Lebewesen ist diese Wahrheit wieder recht schmerzlich in Erinnerung gerufen worden. Die Frage des konkreten Wirkungsmechanismus ist daher aktueller denn je. In den Vereinigten Staaten gibt es Studien, die darauf hindeuten, dass das beim Mongolismus (auch Down-Syndrom oder Trisomie 21) anzutreffende, eigentlich überzählige Chromosom den Zellstoffwechsel (nicht zuletzt des Gehirns) beeinträchtigt, und dass sich diese negativen Effekte gezielt reduzieren lassen. Mir ist zumindest nicht bekannt, dass diese Ansätze in Österreich auch nur aufgegriffen, geschweige denn verfolgt würden.

Praktisches Bemühen ist aufwändiger und weniger öffentlichkeitswirksam als das Deklarieren von irgendwelchen Zeitpunkten, bis zu welchen man (angeblich) mit gutem Gewissen abtreiben dürfe. Entspricht es nicht eher menschlicher Verantwortung, werdendes Leben zu schützen, ihm aber auch dann mit allen Mitteln zu helfen" wenn es zum Menschen geworden ist? Ein gezieltes Forschungsprogramm über die konkreten Wirkungsmechanismen von Trisomie 21 bietet zumindest die Hoffnung auf therapeutische Ansätze. Bei unserem Sohn Martin haben wir gesehen, dass therapeutische Bemühungen Sinn machen.

Und wäre es nicht ganz grundsätzlich sinnvoller, Menschen zu helfen und zu unterstützen, die Verantwortung übernehmen, statt sie ihnen scheinbar abzunehmen, und dann für den Rest ihres Lebens mit der getroffenen Entscheidung allein zu lassen?

Der Autor ist Finanzmanager in Wien.

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