Effizienzkult gefährdet das Überleben

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Wo Effizienz forciert wird, leidet die Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen

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Wo Effizienz forciert wird, leidet die Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen

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Wir wollen effizienter werden. Wir wollen effizienter arbeiten, wir wollen die Effizienz unserer Betriebe, unserer Verwaltung, unseres Bildungssystems und so weiter erhöhen. Wir leben offensichtlich im Zeitalter des Effizienz-Kults. Ist er doch einer der modernen Mythen!

In seinem Buch "Das dritte Jahrtausend" beschreibt Ervin Laszlo die Maxime dieses Mythos folgendermaßen: "Hol das Maximum aus jeder Person, jeder Maschine und jeder Organisation heraus. Ob das Endprodukt nützlich oder sinnvoll für die Menschen und die Gesellschaft ist, geht uns nichts an."

Ist es aber wirklich effizient, nach dieser Maxime zu handeln, oder ist diese Maxime eine Folge davon, dass wir uns nicht genau überlegen, was Effizienz tatsächlich bedeutet und den Begriff falsch, nur aus eingeschränkter Sicht und Zeitperspektive verwenden?

Auf den ersten Blick erscheint die Frage, was Effizienz sei, ziemlich einfach: Effizienz bezeichnet die Wirksamkeit einer Tätigkeit, einer Maßnahme, eines technischen Verfahrens, das heißt das Verhältnis der eingesetzten Mittel zum Ergebnis. Wenn nur ein einziges Mittel eingesetzt wird und auch das Ergebnis eindeutig bestimmt ist, kann die Effizienz einfach und präzise definiert werden.

Und die Effizienz der Umweltnutzung?

Wenn eine Maschine zur Herstellung eines bestimmten Produktes mehr Energie verbraucht als eine andere, ist es klar, welche Maschine (in dieser Hinsicht) effizienter ist. Im Allgemeinen sind wir aber an der Effizienz von komplizierteren Prozessen interessiert, die durch den Einsatz von mehreren Mitteln entstehen und deren Ergebnis(se) von mehreren Gesichtspunkten aus betrachtet werden können.

Nehmen wir ein einfaches Beispiel, einen Betrieb. Seine wirtschaftliche Effizienz kann unterschiedlich gekennzeichnet werden: etwa durch den Gewinn, der pro Einheit der eingesetzten Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital oder Energie) erbracht wird. Dass diese sogenannten Faktorproduktivitäten sehr unterschiedlich ausfallen können, liegt auf der Hand: Wenn etwa Arbeit durch Maschinen und Energie ersetzt wird, zeigt die Arbeitsproduktivität zwar einen Zuwachs, die Energieeffizienz wird dabei jedoch nicht notwendigerweise verbessert. Welche Effizienz soll der Betrieb nun anstreben: die Arbeits- oder die Energieeffizienz? Die Folgen für den Arbeitsmarkt und für die Umwelt sind sehr unterschiedlich.

Der Betrieb wird wahrscheinlich seine gesamte wirtschaftliche Effizienz maximieren wollen. Er kann dann die Entwicklung aller Faktoren gleichzeitig berücksichtigen, also die sogenannte totale Faktorproduktivität berechnen. Oder er vergleicht den derzeit gemachten mit dem theoretisch möglichen maximalen Gewinn, der bei den vorhandenen Mitteln erreicht werden könnte.

Ist es aber zulässig, dass ein Betrieb seine Umwelteffizienz außer Acht lässt? Wenn nicht, dann sollte auch der Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Umwelteffizienz analysiert werden. Ebenfalls sollte hinterfragt werden, ob ein aus dem Blickpunkt des Betriebes als rational angesehener Abbau von Arbeitskräften auch für die Gesellschaft als Ganzes rational ist? Oder können individuell rationale und effiziente Entscheidungen zu gesellschaftlichen Ineffizienzen und Irrationalitäten führen?

Wie man aus diesen einfachen Überlegungen sehen kann, hängt die Effizienz immer vom Kontext ab: Was aus einem Aspekt als effizient erscheint, kann sich in einem anderen Zusammenhang als ineffizient erweisen.

Ähnlich problematisch ist die zeitliche Perspektive der Effizienz: Eine kurzfristige Effizienz kann langfristig schädliche Auswirkungen haben. Ein Betrieb, der hochspezialisiert ist und nur wenige Produkte mit Spezialausrüstungen erzeugt, ist sehr effizient, wenn die Marktpreise (sowohl für die Produkte als auch für die Rohstoffe) für ihn günstig sind. Diese Effizienz kann aber bei starken und raschen Preisänderungen bedrohlich sinken: Eine Umstellung der Produktpalette bei gegebener Ausrüstung und gegebenem Know-how kann sehr kostspielig oder sogar unmöglich sein.

Ein Betrieb muss daher einen Kompromiss zwischen seiner kurzfristigen Effizienz und seiner längerfristigen Anpassungsfähigkeit anstreben, will er bestehen bleiben. Je mehr Fluktuationen er ausgeliefert ist und je schwieriger die Vorhersage dieser Fluktuationen ist, desto schwerer ist es, diesen Kompromiss zu finden.

Wir sehen also, der Begriff der Effizienz kann nur mit der Angabe des Zusammenhanges und der Zeitspanne, in der es verwendet werden soll, präzise definiert werden. Effizienz an sich gibt es nicht. Je größer und komplexer das jeweilige System ist, desto schwieriger ist es, seine Effizienz eindeutig zu bestimmen.

Wenn wir ein sich kontinuierlich veränderndes System wie die Gesellschaft betrachten und ihre Entwicklung so zu beeinflussen versuchen, dass das Ergebnis unseren Erwartungen entspricht, so ist sicher die Zukunftsfähigkeit dieses Systems das entscheidende Kriterium. Aus dieser Sicht ist die Effizienz einzelner Prozesse zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einer kurzen Zeitspanne nur wenig aufschlussreich. Diese Betrachtung liefert über die gesamte Entwicklung nicht genügend Information.

Kurzfristig vorteilhaft, langfristig schädlich Will man die Zukunftsfähigkeit des Systems nicht gefährden, muss man die Anpassungsfähigkeit an Änderungen des Umfeldes genauso in Betracht ziehen wie die gegenseitige Beeinflussung verschiedener Prozesse. Nur bei einer solchen systembewussten Betrachtung - um Ludwig von Bertalannfys Ausdruck zu verwenden - können die Zusammenhänge zwischen kurzfristiger Effizienz und langfristiger Anpassungsfähigkeit ausgearbeitet werden. Dazu ist es notwendig, unterschiedliche Zeitspannen, unterschiedliche räumliche Dimensionen und unterschiedliche Aspekte zu untersuchen.

Die Geschichte der Evolution komplexer Systeme lehrt uns, dass ein System, das sich zu einem gegebenen Zeitpunkt stark an die herrschenden Rahmenbedingungen anpasst und daher zu diesem Zeitpunkt "effizient" ist, an langfristiger Anpassungsfähigkeit einbüßen kann, so dass es durch seine "Starrheit" auf unvorhergesehene, unvorhersehbare Entwicklungen nicht ausreichend reagieren kann.

Effizienz und Anpassungsfähigkeit müssen zueinander in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen, um langfristiges Überleben zu ermöglichen. Je vielfältiger ein System ist, je mehr Spezialisten und Generalisten es beinhaltet, desto weniger störanfällig ist es. Es kann angemessen auf eine breite Palette von äußeren Einflüssen und Störungen reagieren.

Ein starker selektiver Druck (Wettbewerb) forciert die Anpassung an momentane Rahmenbedingungen und kann so zur Reduktion der Vielfalt führen. Dadurch kann die Störanfälligkeit des Systems zunehmen. Und umgekehrt: In Situationen von Überfluss und schwachem selektivem Druck können Systeme sich den Luxus leisten, ein breites Spektrum von Varianten herauszubilden, die zwar im Moment nicht "benutzt" werden, aber unter veränderten Bedingungen die Reaktionsfähigkeit des Systems stärken. Das heißt aber, dass Redundanzen und momentane Ineffizienzen die Stabilität des Systems, und damit seine Zukunftsfähigkeit fördern. Sie müssen als Sicherheitsreserven des Systems betrachtet werden.

Angesichts der Tatsache, dass die Zukunft prinzipiell nicht vorhersagbar ist, sind solche Reserven lebensnotwendig. Der Effizienz-Kult ist daher schlicht und einfach gefährlich.

Die Autorin ist als Ökonomin Mitarbeiterin der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft in Wien.

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