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GEBOTE DER STUNDE

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In dieser Zeit der Bedrängnis bekennen die in Wien zum Österreichischen Katholikentag 1952 versammelten Katholiken, daß sie durch ihr Versagen an der inneren und äußeren Not des Vaterlandes mitschuldig sind. Im Bewußtsein der Verantwortung für Kirche und Staat, die wahrzunehmen keinen Aufschub mehr erduldet, verpflichten sie sich, nach folgenden Grundsätzen zu handeln:

1. Freiheit und Würde des Menschen sind von Gott. Die Kirche Gottes ist daher überall der berufene Anwalt seiner Freiheit und Würde.

Wir Katholiken rufen auf zum Widerstand gegen den totalitären Staat, seine bewußten und unbewußten Agenten, zur Abwehr schon der ersten Ansätze — auch in unserem öffentlichen Leben. Das Schicksal unserer verfolgten Brüder mahnt und verpflichtet.

2. Die Kirche ist die Mutter Österreichs. Die Not des Landes ist daher auch Not der Kirche.

Wir Katholiken sind eins mit dem ganzen Volke im Kampf um die Freiheit Österreichs, die wider alles Recht seit sieben Jahren verweigert wird. Wir rufen die Katholiken der Welt: Helft Österreich, ihr rettet Europa.

3. Die Freiheit kann nur in Einigkeit errungen werden. Zwietracht und parteipolitischer Egoismus sind daher eine ernste Gefahr für die Existenz und Zukunft Osterrreichs.

Wir Katholiken bekennen uns zur Zusammenarbeit mit allen, die guten Willens sind. Haltet Maß in der politischen Auseinandersetzung! Räumt die Barrikaden von gestern weg!

4. Der Staat ist nicht Partelenbesitz. Die Parteien dürfen daher den Staat nicht unter sich teilen.

Wir Katholiken verlangen die Anerkennung von Charakter und Leistung ohne Rücksicht auf Mitgliedsbuch und Protektion. Stärkt dadurch das Vertrauen zum Staat.

5. Der Staat ist nicht Herr über das Gewissen. Er darf daher keinen Zwang in Fragen persönlicher Entscheidung ausüben.

Wir Katholiken fordern die volle und rechtlich gesicherte Freiheit für die Kirche, das heißt: die offene und ehrliche Anerkennung des von Österreich abgeschlossenen Konkordats; die Durchsetzung des Elternrechtes in einer Schule der freien Elternwahl; die Beseitigung des Zwanges zur staatlichen Trauung.

6. Die Freiheit wird uns nicht geschenkt. Nur durch dein Opfer und deinen Einsatz w'ird daher Österreichs Befreiung errungen.

Wir Katholiken fordern einen gerechten Ausgleich der allgemeinen Lasten, wir mahnen zur Bescheidenheit in der Lebensführung aller Schichten des Volkes, wir verurteilen übertriebene Gewinne und aufreizenden Luxus. Seht doch die Not des Landes! Vergeßt nicht den Bruder im Elend! Hart ist die Wahrheit: mehr arbeiten, mehr sparen!

7. Die Familien sind die Zukunft des Staates. Ein Staat, In dem die Familie nicht gedeihen kann, geht daher zugrunde.

Wir Katholiken fordern raschere und wirksamere Förderung der Familie, die Ausweitung der Kinderbeihilfen, die Gründung von Familienausgleichskassen. Helft vor allem Wohnungen bauen! Weg mit den Baracken! Helft den Familien zum eigenen Heim!

8. Wer dem Menschen das Recht auf Eigentum nimmt, macht ihn zum Sklaven. Die Arbeit muß daher für jeden Eigentum ermöglichen.

Wir Katholiken fordern gerechten Lohn für jede, auch für die geistige Arbeit, eine Steuerpolitik, die Eigentumsbildung in breitesten Schichten zuläßt. Unterdrückt nicht die Leistungsfreude!

9. Demokratie fordert Mitarbeit aller, nicht nur Kritik. Wer abseits steht oder alles vom Staat erwartet, darf sein überhandnehmen nicht beklagen.

Wir Katholiken rufen jeden einzelnen zur Verantwortung für das Gemeinwohl auf. überlaßt die Politik nicht den Feinden des Glaubens und der Kirche. Achtet aber bei der politischen Arbeit und Entscheidung nicht zuletzt auch auf die weltanschaulichen Fragen. Wir fordern vom einzelnen und den Gemeinschaften Mut zur Selbsthilfe und vom Staat den Raum dafür. Die Freiheit wird nur durch dich gerettet!

10. Der Friede 1st Frucht der Freiheit und der Gerechtigkeit. Er kann daher nicht auf Lüge, Haß und Terror gegründet sein.

Wir Katholiken lehnen mit Abscheu die Heuchelei ab, die vom Frieden spricht, aber die Unterjochung meint. Wir bekennen uns leidenschaftlich zum wahren Frieden unter Menschen und Völkern. Nur wer Freiheit und Menschenwürde achtet, darf für den Frieden eintreten.

Katholiken Österreichs!

Mit dieser Erklärung haben wir uns zu Taten verpflichtet! Der Ruf der Stunde heißt Katholische Aktion. Lassen wir allen inneren Zwist beiseite im Dienst der Kirche, sind wir eins in Treue zum Papst. Schließen wir uns zusammen zur Rettung unseres Vaterlandes und zu seiner Erneuerung in Christus Jesus.

Betet und arbeitet!

Wenn Gott mit uns ist, wen sollten wir fürchten?

Wir dürfen Uns nicht an die Katholiken Wiens und ganz Österreichs wenden, ohne die soziale Frage zu berühren. War doch gerade Wien immer einer der Brennpunkte der katholischen sozialen Bewegung. Gerne widmen Wir daher in dieser feierlichen Stunde allen denen aus euren Reihen ein Wort der dankbaren Erinnerung, die, seitdem jene Frage zur Lösung drängte, durch Studium und praktische Tat zum Ausbau der kirchlichen Soziallehre beigetragen haben.

Die Kirche schaut heute zurück auf die erste Epoche der neuzeitlichen sozialen Auseinandersetzung. In deren Mittelpunkt stand die Arbeiterfrage: die Not des Proletariats und die Aufgabe, diese den Zufälligkeiten der wirtschaftlichen Konjunktur schutzlos preisgegebene Menschenklasse emporzuheben zu einem den anderen gleichgeachteten Stand mit klar umschriebenen Rechten. Di'se Aufgabe ist, jedenfalls im wesentlichen, gelöst, und die katholische Welt hat an ihrer Bereinigung ehrlich und wirksam mitgearbeitet. Wenn auch in bestimmten Ländergruppen erst spät, in elfter Stunde, die Einsicht aufging und zur Tat geschritten wurde, so sind die sozialen Richtlinien und Weisungen, die von den Nachfolgern Petri seit über 60 Jahren gegeben wurden, im ganzen schon längst Gemeingut des katholischen Denkens und Handelns geworden.

Wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen, stehen in der zweiten Epoche der sozialen Auseinandersetzung, in die wir wohl bereits eingetreten sind, an oberster Stelle andere Fragen und Aufgaben. Zwei von ihnen seien hier genannt:

Die Überwindung des Klassenkampfes durch ein organisches Zueinanderordnen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Denn der Klassenkampf kann niemals ein Ziel der katholischen Sozialethik sein. Die Kirche weiß sich immer allen Ständen und Schichten des Volkes, verpflichtet.

Sodann der Schutz des einzelnen und der Familie vor dem Sog, der sie in eine allumfassende Sozialisierung hineinzuziehen droht, einer Sozialisierung, an deren Ende das Schreckbild des „Leviathan“ grauenvolle Wirklichkeit wäre. Die Kirche wird diesen Kampf bis zum äußersten führen, geht es hier doch um letzte Dinge, um die Menschenwürde und das Seelenheil.

Deshalb setzt die katholische Soziallehre sich neben anderem so bewußt ein für das Recht des Einzelmenschen auf Eigentum. Hier liegen auch die tieferen Gründe, weshalb die Päpste der sozialen Enzykliken und Wir selbst es verneint haben, aus der Natur des Arbeitsvertrages das Miteigentumsrecht des Arbeiters am Betriebskapital und daraus folgend sein Mitbestimmungsrecht, sei es direkt, sei es indirekt, abzuleiten. Es mußte verneint werden, weil dahinter jenes größere Problem sich aujtut. Das Recht des einzelnen und der Familie auf Eigentum ist ein unmittelbarer Ausfluß des Personseins, ein Recht der persönlichen Würde, freilich ein mit sozialen Verpflichtungen behaftetes Recht; es ist aber nicht lediglich eine soziale Funktion.

Es drängt Uns, euch und alle Katholiken von neuem zu mahnen, sie mögen von den ersten Anfängen der neuen Auseinandersetzung an die klar gezeichnete Linie der katholischen Soziallehre einhalten, ohne weder nach rechts noch nach links abzuweichen. Ein Abweichen von jener Linie auch nur um wenige Grade möchte zu Beginn Vielleicht belanglos erscheinen. Auf weite Sicht gemessen, würde es gefährlich vom rechten Weg abführen und schwere Folgen nach sich ziehen. Ruhiges Denken, Selbstbeherrschung, Festigkeit gegenüber den Verlockungen von extremer Seite soll daher ein Losungswort der Stunde sein.

Das ist es, was Wir euch zu eurem diesjährigen Katholikentag zu sagen Wünschten.

Wir kennen, geliebte Söhne und Töchter, die tiefgehenden Sorgen und Befürchtungen, die euch als Glieder eures Volkes und Staates wie als Kinder der katholischen Kirche bedrücken. Wir kennen euer zähes Durchhalten durch die dunklen Jahre der Unsicherheit und der verschleierten Zukunft wie euren festen Willen zur bejahenden Hoffnung und aufbauenden Tat. Eure Sorgen und Hoffnungen sind auch Unsere Sorgen und Hoffnungen, und Wir werden nicht müde, sie im hl. Opfer und Gebet der göttlichen Allmacht und Liebe zu unterbreiten.

Wir glauben in dieser Stunde nichts Besseres tun zu können, als euch auch Unserseits der Alma Mater Austriae, die sich euch im Heiligtum von Mariazell schon so oft in drangvoller Lage als Schutz und Hilfe, als Mutter vom guten Rat und als Vermittlerin der allvermögenden Kraft ihres göttlichen Sohnes erwiesen hat, mit der ganzen Inbrunst Unseres Vaterherzens zu empfehlen. Vertraut ihr euer Geschick, an er stet Stelle aber euren Willen zu neuem heiligem Leben an. Dann braucht ihr nicht zu fürchten; dann dürft ihr zuversichtlich hoffen.

Daß Maria ihre jungfräuliche und mütterliche Hand über euch halte, und daß die Liebe und Gnade ihres Sohnes, unseres Herrn und Heilands Jesus Christus, Gott, hochgelobt in Ewigkeit, in überreichem Maß euch zuströme, als Unterpfand dessen erteilen Wir Unserem sehr würdigen Legaten, euren Oberhirten und Priestern, euch allen, geliebte Söhne und Töchter, wie eurem ganzen Volk und Land aus der Fülle Unseres Wohlwollens den Apostolischen Segen.

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