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Aufruf des Gewissens

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Die Osteransprache, die Papst Pius XII. vor mehr als 300.000 Menschen auf dem Petersplatz hielt, ist von einem solchen Ernst um die Entscheidung der Stunde und der nahen Zukunft getragen, daß wir glauben, an dieser Stelle den Wortlaut bringen zu müssen, da sie bis jetzt in Österreich nur aus. zugsweise bekannt war. „Die Furche“

„In diesem Jahr der Sorgen und Gefahren, in diesem Augenblick, der an ent- sdieidenden und unwiderbringlichen Weltereignissen wohl überreif ist, legt sich auf die Gläubigen Roms ein Schatten schwerer Düsterkeit, eine geheimnisvolle Erwartung, ein mächtiges Empfinden, das wie ein Feuer im Innern alle Geister und Harzen aufschreckt.

Wer nicht blind ist, sieht es, wer nicht geistig befangen ist, fühlt es: Rom, die

Ewige Stadt, die Schöpferin, Künderin, Hüterin der Kultur und der ewigen Lebenswerte, dieses Rom, das bereits sein größter Historiker, gleichsam von göttlicher Eingebung geleitet, ,Caput orbis terrarum , Haupt des Erdkreises, nannte (Titus Livius: Ab urbė condita, 1. Buch, Kap 16) und dessen Bestimmung ein durch die Jahrhunderte sich entfaltendes Geheimnis ist, steht jetzt vor oder besser mitten in einer Zeitwende, die von Haupt und Gliedern der Christenheit höchste Wachsamkeit, unermüdliche Bereitschaft, bedingungslose Tatkraft erheischt.

,Wachet und betet (Mt. 26, 41), so mahnte der Herr seine Jünger am Vorabend seines Leidens. ,Wachet und betet“ ist der Ruf, den Wir im Namen des auferstandenen Erlösers an euch richten, an eure und unsere Mitbürger, an alle Gläubigen der Welt.

Entweder erwacht dieses Gewissen zu voller, männlicher Bewußtheit seiner Sendung: Helfer und Retter der in ihrem geistigen Gefüge gefährdeten Menschheit zu sein; dann gibt es ein Heil, und das feierliche Versprechen des Erlösers erfüllt sich: .Habt Vertrauen, ich habe die Welt besiegt (Joh. 16, 33) oder aber (möge es Gott verhüten) es erwacht dieses Gewissen nur halb, giibt sich nicht mutig in die Arme Christi; dann gilt ihm der furchtbare, nicht weniger ausdrückliche Warnruf: ,Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich (Mt. 12, 30).

Sehr wohl versteht ihr, geliebte Söhne und Töchter, was ein solcher Scheideweg bedeutet und in sich birgt für Rom, Italien und die Welt.

In eurem Gewissen, das zu solcher Bewußtheit seiner Verantwortung erwacht ist, darf es keinen Platz geben für blinde Leichtgläubigkeit gegenüber denen, die zunächst in Ehrfurchtbeteuerungen vor der Religion übertriefen, dann aber sich nur allzusehr als die Verneiner dessen entlarven, was euch am teuersten ist. In eurem Gewissen darf es keinen Platz geben für Kleinmut, Bequemlichkeit, Unentschlossenheit, wie sie in jenen sich zeigt, die in dieser Entscheidungsstunde glauben, zwei

Herren dienen zu können. Euer Gewissen sagt es euch deutlich: Die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit und des Völkerfriedens wird nie erreicht und gewährleistet werden, wenn man die Augen vor dem ,Lichte Christi verschließt, dagegen aber die Ohren den irreführenden Worten von Agitatoren öffnet, die die Leugnung Christi und Gottes zum Eckstein und hinfälligen Fudament ihres Werkes machen.

Römer! Die Kirche Roms, die für euch auch in einem engeren Sinne eure Mutter ist, ist in unseren Tagen offen der Gegenstand ungerechter Angriffe geworden. Wie Christus gesetzt war ,zum Zeichen, dem man widersprechen wird (Lk. 2, 34), wie er verleumdet, mit Schimpf und Schande überhäuft wurde, so wird der Kirche von seiten mit blinder Leidenschaft erfüllter Gegner keine Schmähu.ng erspart. Umsonst hat also die Kirche in dieser Stadt, dem Mittelpunkt der Christenheit, ihr Wohltun so freigebig entfaltet; umsonst also in Augenblicken drohender Gefahr Verfolgte jeglicher Kategorie, auch solche, die ihre erklärten Feinde waren, gerettet, aufgenommen, beherbergt; umsonst also zur Zeit der tyrannischen Unterdrückung die Würde und die Rechte der menschlichen Person und die berechtigte Freiheit der Völker verkündet und aufrecht erhalten; umsonst somit, als das Gespenst des Hungers in dieser Ewigen Stadt umging, für ihre Ernährung gesorgt; umsonst als getreue Auslegerin der Gebote Christi ihre Stimme erhoben gegen die Schäden einer weit sich ausbreitenden Unsittlichkeit, die das Volk dem Verfall und Ruin entgegenführt. Man bezeichnet sie (die Kirche) als .reaktionär , als Förderin von Lehren, die sie doch verurteilt hat; man wirft ihr vor, sie trage bei zur Verarmung und Verelendung des Volkes, dem sie vielmehr mit allen Mitteln zu Hilfe gekommen ist und weiterhin zu Hilfe kommt, vor allem dank des vorsorglichen Beistandes, den die Caritas der katholischen Welt auf wiederholte und flehentliche Aufrufe hin ihr spendet; man beschuldigt sie, die Lehre Christi, ihres göttlichen Bräutigams, zu verraten, die sie doch nie müde wird zu verkündigen, zu verteidigen und in die Tat umzusetzen; man schreibt ihr, ausgemalt und verallgemeinert, die Vergehen dieses oder jenes ihrer ungeratenen Glieder zu, die sie selbst als erste bedauert, zurückweist und schwer bestraft. Indes — ist sie auch gezwungen, all die vielen Anklagen um dej Ehre des Namens Christi willen, wegen der Unversehrtheit ihrer Lehre, zum Schutz so vieler einfacher und unbedachter Seelen, deren Glauben durch jene Verleumdungen Schäden leiden könnte, zurückzuweisen und zu widerlegen — so liebt sie dennoch ihre Verleumder, die doch auch ihre Kinder sind, und lädt alle ein, wie Wir jetzt alle einladen, das Volk von Rom, das gesamte italienische Volk, die Völker der ganzen Welt zu Einheit, Eintracht und Liebe, zu Gedanken und Gesinnungen des Friedens.“

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