Revolution in Trümmern
FOKUSIm Würgegriff des Comandante
Die Revolution in Nicaragua ist gesellschaftlich und politisch gescheitert. Es gibt Verfolgung und Repressalien.
Die Revolution in Nicaragua ist gesellschaftlich und politisch gescheitert. Es gibt Verfolgung und Repressalien.
„Die Tinte geht uns aus, aber nicht die Nachrichten!“ So titelte die nicaraguanische Tageszeitung La Prensa in ihrer Printausgabe vom 25. März in ungewohnt blauen Lettern. Seit zehn Monaten hält die Zollbehörde die für die Produktion bestimmte schwarze Tinte, Papier und Druckutensilien zurück. La Prensa, seit über 90 Jahren bedeutendste oppositionelle Stimme im Land, soll so zum Verstummen gebracht werden.
Landesweite Bürgerproteste gegen die autoritäre Regierung des ehemaligen Revolutionsführers Daniel Ortega leiteten im April des Vorjahres das blutigste Jahr der jüngeren nicaraguanischen Geschichte ein. Im zuvor für seine Stabilität bekannten Nicaragua wurden binnen weniger Monate mehr als 350 Menschen bei Demonstrationen getötet, viele von ihnen waren Jugendliche. Schätzungsweise 50.000 Menschen flohen ins Exil und rund 90 weitere sitzen bis heute als politische Gefangene in Gefängnissen. Ein Expertenteam der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) stufte die Tötungen mittlerweile als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. Bei der Niederschlagung der Proteste sollen auch Scharfschützen zum Einsatz gekommen sein.
Seit seiner Wiederwahl zum Präsidenten im Jahr 2007 baute Ortega das Land in eine Art Ständestaat um. Er ließ sich eine Verfassung maßschneidern und brachte sukzessive sämtliche staatlichen Institutionen unter seine Kontrolle. Auch wenn die Gewaltexzesse in den Straßen nur kurz andauerten, die Härte, mit der die Regierung seither gegen all jene vorgeht, die Kritik an ihr üben, ist größer denn je zuvor. Seit Ortega die Kontrolle zurückerlangte, warf er eine UN-Mission aus dem Land und entzog gleich neun Menschenrechtsorganisationen die Rechtspersönlichkeit.
Versammlungen und Protestmärsche der Opposition werden von der Polizei nicht mehr zugelassen. „Theoretisch garantiert die Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung. Stell’ dich hier mal an die Kreuzung, schwenke eine nicaraguanische Flagge und rufe „Viva Nicaragua Libre!“. Zehn Minuten gebe ich dir, bis die Polizei kommt und dich verhaftet“, erzählt ein Taxifahrer in der Hauptstadt Managua.
Die blau-weiße Flagge des mittelamerikanischen Landes wurde zum Symbol der Widerstandsbewegung. Strommasten, Hausmauern, Gehsteigkanten – während der großen Demonstrationszüge wurde Managua an allen Ecken und Enden blau-weiß angestrichen. Mittlerweile hat die Stadtverwaltung alles übermalen lassen. Nichts soll mehr erinnern an die Aufbruchsstimmung, die sich vor rund einem Jahr in Nicaragua breitmachte. „Nach 17 Uhr traute sich kein Mensch mehr auf die Straße. Abends war alles wie ausgestorben. Heute meint man, es wäre nie etwas passiert. Die Leute gehen wieder aus und feiern bis spät in die Nacht“, so der Taxifahrer.
Kampf gegen die freien Medien
Als sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, startete Präsident Ortega einen Feldzug gegen alle regierungskritischen Medien im Land. Carlos Fernando Chamorro, Herausgeber des investigativen Mediums El Confidencial und namhaftester Journalist Nicaraguas, ging Anfang des Jahres ins costa-ricanische Exil. Wenige Wochen zuvor stürmte die Polizei sein Büro in Managua. Miguel Mora, Chefredakteur des Nachrichtensenders 100% Noticias, wurde kurz vor Weihnachten wegen „Konspiration und Anstiftung zur Rebellion“ inhaftiert und saß bis Mitte Juni im Gefängnis. Ortega behauptet, sie alle wären Teil eines von den USA finanzierten Komplotts, das den Sturz der Regierung zum Ziel hätte. Mittlerweile herrscht Ruhe in den Straßen des Landes. Nach mehreren Monaten Ausgangssperre pulsiert das Nachtleben in den Bars und Diskotheken Managuas bis in die frühen Morgenstunden.
Auch die ersten Surftouristen fanden ihren Weg zurück an die Pazifikstrände. „Todo está normal“ – alles ist normal, so die Botschaft, die von der Regierung medienwirksam ausgesendet wird. Auch weil jeder Touristen-Dollar, der ins Land kommt, enorm wichtig ist.
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