6653548-1959_16_01.jpg
Digital In Arbeit

Kulturoffensive

Werbung
Werbung
Werbung

Vielleicht ist die Stunde nicht mehr fern, da die Fragen der Kultur und des Geisteslebens ernstlich in den Mittelpunkt der Staatsräson rücken. Die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates hat ihre natürlichen Grenzen, und die Jagd nach dem Lebensstandard beginnt sich zu erschöpfen. Dem wirtschaftlichen Hoch steht ein nicht zu übersehendes kulturelles Tief gegenüber, und an dieser Diskrepanz leidet im Unterbewußtsein das innerpolitische Klima unseres Staates.

Aber auch die außenpolitische Situation Oesterr.eichs verlangt immer dringender ein weitreichendes und großzügiges kulturpolitisches Konzept. Neutralität heißt nicht Sterilität und Stagnation, sondern freiwillige Uebernahme außerordentlicher Verantwortlichkeiten. Der bekannte englische Publizist Gordon Shepherd drückt diesen Gedanken in seiner bemerkenswerten Studie „Die österreichische Odyssee“ in einer originellen Antithese aus: „Das kaiserliche Oesterreich blieb am Leben, indem es die Initiative hinausschob; das republikanische wird nur dann am Leben bleiben, wenn es sie ergreift."

Nun sind derartigen Initiativen zweifellos Grenzen gesetzt. So ist wohl kaum zu erwarten, daß sich unser kleiner Raum, rein potentiell, zu einem Wirtschaftsfaktor von internationaler Bedeutung entwickeln wird, militärische Ambitionen sind außer dem Schutz der Grenzen keine vorhanden, außenpolitisch ist unserer Aktivität durch das Neutralitätsgesetz ein bestimmter, fester und enger Rahmen gesetzt; llleibt die Kulturpolitik in weitestem Sinn. Es ist nun — und davon kann man sich allenthalben überzeugen — noch immer der feste Glaube der intellektuellen Eliten aller Couleurs, daß hier die historische Mission Oesterreichs, die Zukunft einer international bedeutsamen Wirksamkeit und damit auch die Grundlagen für die Entwicklung einer neuen, unserer Zeit, verpflichteten ,',anima Austriae“ liegen, die uns trotz wirtschaftlicher Stabilität und außenpolitischer Absicherung erst die letzte Gewißheit über die innere Lebenskraft unseres Landes und den Glauben an seine Idee einer Existenz als neutraler Staat zwischen rivalisierenden Machtblöcken geben kann.

Nun ist von der „kulturellen Mission“ Oesterreichs zwar oft die Rede, aber man hat dabei ein schales Gefühl auf der Zunge. Sind das nicht nur opportunistische Lippenbekenntnisse? Schöne, wohlklingende, aber unverbindliche Tiraden in Sonntagsreden? Oder sentimentale Reminiszenzen an eine zweifellos imponierende, aber leider nicht mehr lebendige Vergangenheit? Kulturelle Investitionen werden oft nur dort vorgenommen, wo sie mehr einer Kulturfassade und nicht dem tatsächlichen Kulturpotential zugute kommen. Das Kulturleben eines Volkes darf aber nicht zur Magd des Fremdenverkehrs werden, und der schöpferische Geist ist sich zu gut, um oberflächlichen Repräsentationsbedürfnissen zu genügen.

Oesterrreich steht am Scheidewege. Wird es mit jener kulturellen Aufrüstung ernst machen, die die Voraussetzung dafür ist, um jenen schicksalhaften Aufgaben gerecht zu werden, die ihm heute in den großen geistigen Auseinandersetzungen zufallen? Wird es seine neuen konstruktiven Aufgaben im Koordinatenkreuz der Weltpolitik übernehmen können? Oder wird es sich, befangen im engen Horizont des Tageskonsums, zu einer gesichtslosen Masse entwik- keln, ohne innere Struktur, bereit, jedem äußeren Druck nachzugeben? Verschiedene Anzeichen, oft kaum beachtet oder nicht richtig eingeschätzt, erlauben immerhin einen gemäßigten Optimismus. Da und dort bahnen sich Entwicklungen an, die als Besetzung von Bereitschaftsräumen für eine künftige Kulturoffensive angesehen werden können; sie zu erkennen, richtig zu werten und mit der ganzen Intensität der öffentlichen Meinungsbildung zu fördern, scheint uns eine zentrale Aufgabe der Kulturpublizistik.

Einige dieser Aspekte sollen hier genannt werden.

Bei der Weltausstellung in Brüssel war Oesterreich mit einem Pavillon vertreten, dessen geistiges Kpnzept und künstlerische Ausführung beispielhaft waren. Millionen von Ausstellüngsbesuchern. aufgeschlossenen Menschen aus aller Welt, wurde hier ein Bild unseres Landes vermittelt, wie es im Hinblick auf eine weltweite kulturelle Sendung eindrucksvoller wohl kaum möglich war. Die Aufstellung dieses Pavillons in Wien wird diesem Eindruck Dauer verleihen und darüber hinaus die lokale Voraussetzung für die Bildung eines modernen Zentrums des künstlerischen Lebens schaffen. Der „Geist von Brüssel“ soll weiterleben, vielleicht wird er noch ungeahnte Früchte zeitigen.

Vor wenigen Monaten wurde eine „A r- beitsgemeinschaft Ost“ gegründet. Alle Bestrebungen sowohl auf dem Gebiete der in Oesterreich traditionellen Slawistik als auch der modernen Ostforschung wurden damit wirkungsvoll koordiniert und ihnen neue, richtungweisende Impulse gegeben. Anderseits sollen in Warschau und Belgrad geeignete kulturelle Relaisstationen geschaffen werden, um österreichisches Geistesleben in den Ostraum ausstrahlen zu können.

Die begrüßenswerte Aktivität der „H a m- mer-Purgstall-Gesellschaft“ knüpft wieder an alte Pionierleistungen Oesterreichs in der Levante an. Die neue Sorge - um den N a- hen Osten findet ferner in der Nominierung von Kulturreferenten in Istanbul, Kairo und Teheran ihren Ausdruck. Nach den neuen Statistiken sind mehr als ein Drittel der an österreichischen Hochschulen inskribierten Hörer Ausländer, darunter auffallend viele aus dem Nahen Orient, aber auch aus Indien, Japan, ja selbst aus Aethiopien, Ghana und Nigeria.

Man spricht vom Bau eines Internationalen Studentenheimes in Wien,

und die Errichtung einer „Cite universitaire" wäre zweifellos ein Denkmal eines neuen, kühnen Kulturwillens unserer Bundeshauptstadt. In der Universitätsstraße sind Bagger und Zementmaschinen am Werk, um das Gebäude der Universitätsinstitute zu errichten. Die Pläne um den Neubau der medizinischen Universitätskliniken beginnen sich, wenn auch für manche etwas zu langsam, zu konkretisieren.

Der Ministerrat hat sich kürzlich mit weitreichenden Projekten zur-A tomwirtschaft und Atomwissenschaft befaßt, und die Tätigkeit der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien scheint sich auch auf die Entwicklung der physikalischen Forschung in Wien anregend auszuwirken.

Als der Bundeskanzler Tokio besuchte, wurden nach den offiziellen Kommuniques kulturelle Angelegenheiten als Hauptverhandlungspunkte angegeben. Das mag zunächst nach protokollarischem Raffinement klingen; wenn man aber die kulturellen Beziehungen zwischen Oesterreich und jenem fernen großen Land in den letzten Jahren untersucht, ist man von ihrer lebhaften und vielgestaltigen Entwicklung geradezu überrascht.

Diese kurze, durchaus nicht vollständige Skiz- zierung verschiedener kulturpolitischer Initiativen berechtigt zu der gewissen Hoffnung, daß die allgemeine Stagnation überwunden ist und daß unser Land im Begriffe steht, sich aus den Engen der Tagespolitik und der wirtschaftlichen Utilitäten zu befreien und jenen weiten Horizont wiederzugewinnen, der unsere historische Vergangenheit so ruhmvoll charakterisiert.

Alle diese Maßnahmen, Aktivitäten und Pläne sollten allerdings auch jene Resonanz erhalten, die sie aus den achtenswerten Bemühungen geistiger Eliten zu einem Anliegen unseres ganzen Volkes macht. Dann ist zu hoffen, daß auch unser kleiner neutraler Donau- und Alpenstaat als schöpferische Individualität in die Geschichte eintritt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung