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Mit Descartes in Dakar

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„Präsident Senghor ist nicht in der Lage, ein Interview zu geben, bis ...“

Das gilt seit dem Zerfall der Föderation Mali für alle Journalisten. Sogar die „Times“ rutschte ab. Nur ich bekam mein .Interview. Mein mörderisches Französisch war der Grund.

Auf dem Weg vom Parlament hielt ich den Präsidenten auf. Rein aus Routine bat ich um ein Interview. Senghor fragte: „In welcher Sprache haben Sie mich angesprochen?“ — und war erschüttert, daß es Französisch hätte sein sollen. Das war der Ausgangspunkt. Die österreichische Neutralität tat das ihre. „Wer auf der ganzen Welt hat eine so durchdachte Neutralität wie Österreich?“ sagte er später. Durchdacht — das ist Senghors wichtigster Maßstab.

Leopold Sedar Senghor: Wenn einer hier etwas zu sagen hat, ist er es.

„Die Partei Senghors“ heißt hier die Regierungspartei. Der „Staat Senghors“ heißt hier der Senegal. „Der Staatsstreich Senghors“ heißt hier die Zerstörung der krisengeladenen Föderation des europafreundlichen Senegal mit dem nationalistischen Sudan. „Das Wort Senghors“ heißt hier und in der französischen Literatur die Lyrik Afrikas in französischer Sprache.

Die schwarzen Riesen in französischer Kolonialuniform auf den europäischen Kriegsschauplätzen waren Wollops. Söhne eines Herrenstammes. Senghor ist kein Riese. Er ist kein Wollop. Er ist fast fragil und kommt aus einem Fischerdorf, dessen Bewohner am unteren Ende der sozialen Rangleiter des schwarzen Senegal stehen. In der Kolonialzeit wurde diese Ordnung von den Franzosen mehr respektiert als von den Negern. Es ist ein Wunder, daß aus dieser Schicht der verläßlichste Freund Frankreichs in Afrika kommt. In Kairo, in Konakri und Leopoldville steht er auf der Proskriptionsliste für die erträumte Nacht der langen Messer in Afrika. Er ist Katholik in einem zu 80 Prozent islamitischen Land; mit einer Französin verheiratet in einem Afrika, das den Hautfarbenkomplex aus Europa gründlich übernommen hat. So führt Senghor offiziell nur seine Partei, die Union Africain Progression, und die Politik des Landes.

Bevor Senghor zu sprechen beginnt, gibt er seiner französischen Sekretärin 150 Afrika-Francs für zwei Pakete Gauloises. Er spricht ernst, aber ohne Pathos. Er wirkt schlau, aber nicht geriebne oder clever:

„Wir sind nicht Katanga“, ist das erste, was er erklärt — offenbar für ihn das wichtigste. „Wir haben ah werdender Staat die Einheit Afrikas angestrebt, als die meisten, die diesen Begriff jetzt als politisches Werkzeug gebrauchen wollen, noch gar nicht daran zu denken wagten. Von uns ist der Vorschlag ausgegangen, die Staaten Französisch-Westafrikas in der Föderation Mali zusammenzuschließen. Wir haben einen Teil unserer Souveränität als unabhängiger Staat Senegal für das Zustandekommen der Föderation aufgegeben, obwohl nur noch der Sudan und wir übriggeblieben waren. Aber: Wir waren keine Realisten. Wir sind zu schnell gegangen. Wir haben den Mikronationalismus in Afrika unterstützt, die Tendenz des jungen Nationalismus, sofort nach seiner Geburt den Nachbarn zu kolonisieren. So mußten wir die Föderation als verfrüht auflösen, bevor Schlimmeres entstand.

Wir sind nicht Katanga. Wir sind nicht von einer Staatseinheit losgebrochen, sondern zu voller Souveränität zurückgekehrt, die wir zu opfern bereit gewesen waren — einer Utopie, der Föderation Mali.“

Immer wieder kommt Senghor auf die Gefahr der gegenseitigen Kolonialisierung der jungen afrikanischen Staaten zu sprechen („Sie sind gute Schüler“) und auf die Versuche, sich jeweils an eine der Weltmächte zu lehnen, wenn man das' ^Bedürfnis, hat. einen der afrikanischen'Nachbarn unter seinen Willen zu zwingen und die neue innerafrikanishee Kolonisierung ideologisch zu tarnen.

Am selben Tag gibt es eine Illustration zu den Worten Senghors etwas weiter im Norden. Moktar Ould Daddah, Ministerpräsident der islamitischen Republik Mauretanien, die am 28. November ihre volle Souveränität von Frankreich erhalten wird, sieht sich gezwungen, an die Adresse der Arabischen Liga gegen den „Imperialismus Marokkos“ zu protestieren. Marokko hat seine Territorialansprüche angemeldet, noch bevor der neue Staat überhaupt geboren ist.

„Mali sollte ein Schritt zur Einheit Afrikas sein. Der Sinn der Verfassung der Föderation war Gleichheit des Sudan und des Senegal. Der Sudan wollte aber den Senegal zur Minorität machen. Vielleicht glaubte Keita im Sinn eines höheren Zwecks zu handeln — die Ausrichtung der Föderation nach der antieuropäischen Front in Afrika. Wir konnten es nicht akzeptieren. Ohne Gleichheit unter den Völkern Afrikas kann es keine Einheit geben; Auch Nationalismus, Rassismus und Afrikaorthodoxie sind keine Uerrschafts-ansprüche. Afrika muß die lehre aus der europäischen Geschichte der letzten Jahrzehnte ziehen.“

Das alte europäische Problem steht jetzt mit aller Schärfe vor den afrikanischen Staaten; ein Riesenkontinent aus einein Mosaik von Staaten oder der schwere Weg zur Gemeinschaft ohne gegenseitige Unterdrückung. Dazu Senghor:

„Die Europäer haben mit ihren Sprachen Afrika geteilt. Die Teilung ist in Fleisch und Blut des Kontinents eingegangen. Ich stehe einem französisch sprechenden Tunesier näher als einem englisch sprechenden Nachbarn. Auf der Grundlage der Sprachengemeinschaft muß zuerst langsam eine wirtschaftliche Annäherung gefunden werden. Das englisch sprechende Afrika in sich, das französisch sprechende Afrika in sich. Und diese Entwicklung lehnt sich an die Entwicklung der beiden europäischen Marktgemeinschaften an. In dem Maß, in dem EFTA-EWG Brücken zueinander finden werden, wird auch hier eine Annäherung vor sich gehen. Langsam, organisch, im Geiste Descartes.

Voraussetzung ist, daß jeder Staat die Grenzen des Nachbarn achtet und nicht unter dem Mantel einer Ideologie, im Grund aber aus rein imperialistischen Tendenzen, die subversiven Tätigkeiten im Territorium des Nachbarn schürt, wie es jetzt der Fall ist.“

Senghor gibt zu, daß eine enge Verbindung Afrikas mit den westeuropäischen Staaten die Voraussetzung für diese Entwicklung ist:

„Anders ist es undenkbar. Oder nach der dunklen Zeit der europäischen Kolonisierung bricht eine Zeit an in Afrika, gegen die die Völkerwanderung in Europa sonnenüberstrahlte Geschichte ist.“

Wo bleibt bei dieser engen Bindung der afrikanischen Wirtschaft dann aber der so oft genannte afro-asiatische Komplex?

„Das ist typisch europäisches Denken: Alles muß gegen etwas anderes gerichtet sein. Der afro-asiatische Gedanke wird einfach absurd, wenn er sich gegen Europa richtet. Unsere politische und moralische Lage bringt uns Asien näher. Unsere wirtschaftliche und kulturelle Situation bindet uns an Europa. Ich bin überzeugt: Wie sehr wir auch Investitionen brauchen, so ist doch jede Wirtschaftshilfe ein trojanisches Pferd, wenn sie nicht auf der Basis der kulturellen Verwandtschaft erfolgt, sondern eine fremde Kultur an sich kleben hat. Und die Sprachen des großen Teiles Afrikas sind Französisch und Englisch.“

Wohin man geht in Dakar, ist das Meer. Wohin man sich wendet vom Senegal, ist antieuropäischer Nationalismus. M. Keita will den Abfall des Senegal von der Föderation Mali vor den Sicherheitsrat bringen. Unter den Nationalisten in Afrika scheint es Mode geworden zu sein, die UNO wie einen Hund apportieren zu lassen, wenn man auf die Jagd geht. Hier aber herrscht absolute Ruhe und allgemeine Zustimmung zum Schritte Senghors Nur der Optimismus ist etwas geschwunden. Das sagt viel bei diesem Volk. Man fühlt, wie die Erde unter den Füßen unterspült wird, nicht nur vom panafrikanischen Nationalismus, sondern auch vom Kolonialkampf, den ein naives Amerika immer noch gegen die französischen „Kolonisatoren“ führt und den die Intriganten der „afrikanischen Einheit“ zu benützen wissen.

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