Hilfslieferungen Jemen  - © Foto: Getty Images / Mohammed Hamoud

Wirtschaftssanktionen: Werden die Falschen bestraft?

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Wenn heute von Wirtschaftssanktionen die Rede ist, denkt man vor allem an Russland. Doch die USA und die EU sanktionieren dutzende weitere Länder – und verursachen damit auch Armut und Flucht.

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Wenn heute von Wirtschaftssanktionen die Rede ist, denkt man vor allem an Russland. Doch die USA und die EU sanktionieren dutzende weitere Länder – und verursachen damit auch Armut und Flucht.

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Es ist schwierig, all die Details der „Sanktionspakete“ zu durchschauen, die die Europäische Union gegen Russland verhängt hat. Doch obwohl Moskau durch die Maßnahmen geschwächt wurde, ist es ihm als mächtigem Land gelungen, sich anzupassen, seinen Handel neu auszurichten, ein eigenes Banküberweisungssystem einzuführen. Ganz anders sieht es bei zerstörten und ärmeren Ländern aus, gegen die die USA, die EU oder die UN Sanktionen verhängt haben. Im Jahr 2023 geht die Zahl der Länder, gegen die mehr oder weniger umfangreiche Wirtschafts-, Finanz-, Reise- und Rüstungssanktionen greifen, in die Dutzende: Syrien, Venezuela, Myanmar, Afgha­nis­tan, Jemen, die Demokratische Republik Kongo, Niger oder Libyen.

Regime versus Bevölkerung

Die Pro-Sanktion-Argumentation ist fast immer dieselbe: Verhängt würden sie gegen diktatorische und brutale Regime sowie wegen Menschenrechtsverletzungen. Bei den meisten sanktionierten Ländern handelt es sich zugleich um Entwicklungs- oder Schwellenländer, die in den letzten Jahren von internen Konflikten und Kriegen (auch Stellvertreterkriegen wie im Jemen) oder Naturkatastrophen erschüttert wurden. Millionen Menschen fliehen aus diesen Ländern – auch als Folge der Sanktionen, die vor allem sie treffen und nicht diejenigen, denen sie eigentlich schaden sollen. „Weder die Taliban in Afgha­nis­tan noch das Regime von Baschar al-Assad in Syrien haben sich durch die Sanktionen in ihrem Verhalten geändert“, sagt Conrad Schetter, Experte am Internationalen Zentrum für Konfliktforschung (BICC) in Bonn, im FURCHE-Gespräch. „Menschen, die für lange Zeit in einer Notlage ohne Hoffnung und Perspektive verharren, marschieren irgendwann in Richtung Europa.“

In Afghanistan etwa hat sich seit dem Rückzug der alliierten Truppen im Sommer 2021 die Situation massiv verschlechtert. Vor allem, weil die USA sofort Strafmaßnahmen gegen die neuen alten Machthaber verhängten. Die Sanktionen, die vor allem das Banksystem treffen, machen die afghanische Wirtschaft funktionsunfähig, behindern Geldüberweisungen und verteuern die ­Lebensmittelimporte drastisch. Gleichzeitig vergisst die Welt das Land. Im Oktober dieses Jahres schlugen Vertreter des Welternährungsprogramms (WFP), der UN-Agentur zur Bekämpfung des Hungers in der Welt, Alarm: Die Mittel für den Kampf gegen den Hunger in Afghanistan wurden im Jahr 2023 im Vergleich zu 2022 um 80 Prozent gekürzt – von 1,6 Milliarden auf rund 340 Millionen US-Dollar. „15 Millionen Afghanen hungern derzeit. Infolge der fehlenden Finanzierung waren wir gezwungen, die Hilfe für zehn Millionen Menschen im Land zu kürzen“, sagte John ­Aylieff, Regionaldirektor des WFP.

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