6607783-1954_30_08.jpg
Digital In Arbeit

Die japanische Malerei

19451960198020002020

Von Kenji Moriya. Mit 4 sechsfarbigen und 85 einfarbigen Abbildungen auf Kunstdracktafeln. 152 Seiten Text. F. A. Brockhaus, WTesbaden

19451960198020002020

Von Kenji Moriya. Mit 4 sechsfarbigen und 85 einfarbigen Abbildungen auf Kunstdracktafeln. 152 Seiten Text. F. A. Brockhaus, WTesbaden

Werbung
Werbung
Werbung

Das für europäische Kunstfreunde so schwierige Erfassen des Sinns und des W’esens ostasiatischer Kunst wird wesentlich dadurch erleichtert, daß wir über diese Bereiche künstlerischen Schaltens bedeutende Arbeiten ostasiatischer Kunstgelehrter besitzen, die’ mit dem Leben und der Kunst auch Europas innig vertraut sind. Seit Jahren besitzen wir ein Werk über „Die Ideale des Ostens", in welchem Kakuzo Okakura wertvollsten Aufschluß über Wachstum und Wandel jener religiösen und geistigen Bewegungen gab, welche die Kunst Ostasiens und Indiens formten. Nun legt der Verlag Brockhaus in Wiesbaden ein höchst aufschlußreiches Werk über „Die japanische Malerei" vor, die tiefschürfende Arbeit des japanischen Kunsthistorikers Kenji Moriya, der in den letzten Kriegsjahren an der Universität Leipzig wirkte und heute an der Keio-Universität in Tokio liest, die

Kunst Europas tief erlebt hat und uns daher die Kunst seiner Heimat erschließen kann.

An Hand eindrucksvoller Vergleiche legt der Verfasser in schlichter Klarheit dar, daß die anthropozentrische Kunst Europas von der pan- theistischen Denkform und Kunstsprache Ostasiens, die das Seelische nicht im Menschen allein, sondern in der ganzen Natur sucht und findet, zutiefst thematisch und stilistisch unterschieden sein muß; er zeigt, daß die Kunst Europas von plastischen, jene Asiens von malerischen Vorstellungen ausgeht, die eine darstellen, die andere vergeistigte Symbole schaffen muß; er läßt erkennen, weshalb europäische Kunst sich der Zentralperspektive und einer naturnahen Farbengebung, die Asiens sich einer nicht mathematischen Gesetzen gehorchenden Ueberschau und bisweilen der wirkungsreichen Einfarbigkeit ihrer Tuschmalerei mit dem persönlichen, handschriftlichen Reiz des formenschaffenden Pinselspiels bedient. Mit feinstem Takt weiß uns der Verfasser davon zu überzeugen, daß trotz dieser scheinbaren Be schränkung der Kunstmittel der Farbensinn der Ostasiaten wesentlich höher entwickelt ist als der unsere.

ln ebenso aufschlußreicher Analyse arbeitet Moriya anschließend die Gegensätze zwischen der chinesischen und japanischen Malkunst heraus, wobei er immer wieder au den nationalen Charakterzügen dieser beiden großen Kulturvölker vorstößt und fesselnd zeigt, daß beide gewisse große Wandlungen der Geisteshaltung und Stilformen gemeinsam erlebten. Letzten Endes läßt das Buch auch den Laien erkennen, welches künstlerische Können und welche geistige Konzentration in den mit wenigen „skizzenhaften" Pinselstrichen hingezauberten Tuschgemälden, den aus wenigen Silben gefügten Gedichten und in der sparsamen Mimik des No-Spiels Japans suggestiv wirkende Form geworden ist und wieviel Unsagbares sich hinter diesen Leistungen birgt. Das Buch lehrt Ehrfurcht vor dieser Kunst, die in ihrem Wesen eine Mitteilung von Geist zu Geist ist.

Wesentliche Teile des Buchtextes sind der geschichtlichen Entwicklung der japanischen Malkunst gewidmet. Diese Kapitel sind vor allem dadurch lebendig, daß Moriya die Malerei nicht einseitig bloß als formales Phänomen analysiert, sondern ihre Entstehung aus den geistigen Formkräften anschaulich macht: Der Leser erlebt geradezu die tiefen Wandlungen, welche die Ueber- nahme der Lehre Buddhas nach Japan brachte, oder die bunten Zeiten verfeinerten Lebensgenusses, den der Schw’ertadel- des Inselreiches in seinen traumhaft geschmückten Schlössern während der Pausen zwischen den Kämpfen der Shogune um die staatliche Macht entfaltete. Daneben verfolgt man im klaren Spiegel der Kunst das erregende Kräftespiel der geistigen Auseinandersetzungen,

die über den ganzen eurasiatischen Kontinent bin weg erfolgten; auch die Wechselwirkungen zwischen japanischer und europäischer Malerei, dl im 16. Jahrhundert begannen und jetzt in ein entscheidendes Stadium treten, fallen noch in den Rahmen dieses Baches, das immer wieder durch kühne, aber sinnvolle and daher fruchtbare Vergleiche den Leser z eigenem Urteilen aufruft; , wenn der Verfasser den Fresken der Sistinadeck die landschaftlichen Wandbilder im Großen Saal des Schlosses von Nijo (Kyoto) gegenüberstellt.

Wir erblicken in dem ausgezeichnet bebilderten Buche eine bahnbrechende Leistung, die das Verstehen zwischen den schöpferischen Nationen im Bereiche künstlerischen Schaffens fördert; da Werk ist aus einer geistigen Notwendigkeit im Bewußtsein geistiger Verantwortung geschrieben, nicht in geschäftstüchtiger Ausnützung einer vom modernen Massenreiseverkehr geschaffene billigen Konjunktur.

Vergessen wir aber nicht, daß dem Verstehe ostasiatischer Kunst durch Europäer heute eine unübersteigbare Grenze gesetzt scheint; denn der Asiate ist auch jetzt noch gewillt und gewohnt, Kunstwerke in angemessener Weise, nämlich in tiefer geistiger Sammlung und Versenkung zu betrachten und in sich aufzunehmen. Dagegen können -wir in Museen und an anderen Kunststätten mit der Uhr in der Hand abstoppen, mit welcher immer wachsenden Oberflächlichkeit das europäische Publikum Kunst, „betrachtet". So kann man ostasiatischer Kunst nicht nahekommen, ja nicht einmal erahnen, was sie sagen könnte. Es liegt durchaus an uns selbst, ob wir in dieses Paradies der Wunder einer vergeistigten Kunst eingehen W’ollen oder nicht; das Buch Kenji Moriyas hat ns das Tor dazu weit geöffnet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung