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„Machet euch die Erde Untertan“

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Im Räume des hebräischen Denkens wird die Erde schon früh nicht religiös verehrt, sondern dem Menschen als Aufgabe gegeben. Es ist in diesem Denken nicht zufällig, daß die Erde in Urzeit und Endzeit als Paradies oder als Gottesstadt gesehen wird. Paradies — das ist die parkmäßig verwandelte Natur, Gottesstadt —, das ist die von Gott auf ein Ziel hin völlig veränderte Erde. Und der Mensch als Partner Gottes ist hineingenommen in diesen radikalen

Veränderungswillen Gottes. Auch der Mensch als Partner Gottes soll die Erde auf neue Ziele hin verändern. Auch er soll endzeitliche Träume träumen, durch die er in der Gegenwart die Aufgabe der Verwandlung

wahrnimmt. Gewiß denkt die Bibel zunächst in agrarischen Strukturen, wenn sie von Veränderung spricht. Aber diesen ordnet sie früh ein kulturelles und auch ein sprachlichveränderndes Moment zu. Die Theologie würdigt heute mit Recht den „homo faber“ und den „artifex mundi“ positiv. Bedauerlich ist nur, daß die Theologie dabei oft den „homo ludens“, den spielenden Menschen, der gerade als Künstler wichtige Veränderungen gestaltet, vergißt. Jedenfalls sehe ich in dem allen den alten Gottesauftrag wirksam werden: „Machet euch die Erde Untertan.“

Und nun ist für das Experiment von St. Margarethen auch das Haus der Bildhauer entstanden. Es ist eine Stätte der Geborgenheit geschaffen worden, in die sich der Künstler, der mit der Natur, der mit dem Stein gerungen hat, zurückziehen kann. Die Stätte erinnert in manchem an den alten Gedanken des Klosters. Auch mit dem Kloster ist ja ein Ort gemeint, der dem Menschen Geborgenheit gibt und ihn dann wieder in die Welt hinausschickt. So ist jetzt ein Haus entstanden, das solche Geborgenheit, die nicht von der Welt abschließt, sondern für die Welt zurüstet, vermittelt. Es ist eine architektonische Konstruktion entstanden, die von dieser Spannung zwischen Bergung und Aussendung lebt und so ihren glücklich-prädisponie-renden Dienst tun wird. Der Steinbruch, das Symposion der Bildhauer, forderten ja eigentlich als Ergänzung diese Stätte.

Thomistisch und franziskanisch

Subjektiv und als Laie sprechen mich vor allem überaus reizvolle Momente einer kraftvoll bewältigten Spannung an. Von der Hauptspannung habe ich schon gesprochen: Stätte der Bergung und zugleich Stätte der Zurüstung und Aussendung. Weiter aber auch Stätte, die von der Natur absondert und auf sie bezogen ist. Darum muß das Bauwerk in Harmonie und im Widerspruch zur umgebenden Landschaft stehen. Weiter stellte sich als wichtige Aufgabe die Zuordnung der alten, vorhandenen Grundelemente zu völlig neuen Baustoffen; das Vorgegebene und Alte steht also in einer Synthese mit dem Neuen. Und sofort stellen sich weitere Assoziationen ein. Man denkt an Altes und Uraltes, etwa vom Gedanken des Klosters zurück an den des Tempels, also von der mittelalterlichen zur antiken Struk-

tur. Zugleich freut man sich an Möglichkeiten der Moderne; da ist etwa das Spiel mit dem Sichtbeton, da ist weiter die Gestaltung des Dachbereiches. Wiederum wäre in manchem eine Synthese zwischen primärer und sekundärer Weltsicht zu studieren. Dabei verhindert die Synthese zwischen Alt und Neu sowohl ein zu romantisches Zurückträumen ins Archaische wie eine zu extreme Auslieferung an die nach vorn aufgebrochenen Weltbildprozesse. — Darf ich auch hier wieder ein theologisch-deutliches Wort wagen? Darf ich sagen, daß ich im Bauwerk ein thomistisches und ein franziskanisches Element empfinde? Das thomistische Denken gibt immer wieder den Mut zur Synthese, es hilft zur sinnvollen Zusammenordnung von Spannungsbereichen, es entsteht ein Zusammenklang von Natur und Übernatur. Auch als Angehöriger einer anderen Konfession bewundere ich eine Erneuerung des thomistischen Denkens zu einem weMhafteren, welitoffeneren Thomis-mus. Ich weiß, Was dieser etwa für die katholische Kunstbewegung in Frankreich bedeutet, etwa wenn sie einem Le Corbusier die echte Freiheit gab, kühne kirchliche Bauten zu gestalten. Aber nun sehe ich im Haus der Bildhauer von St. Margarethen auch das franziskanische Moment. Und vielleicht bricht nun in mir der Protestantismus durch, wenn ich sage, daß ich dieses Moment noch mehr schätze. In diesem Moment herrscht der Gedanke der Armut, der Hinwendung zum schlicht Matriellen, vielleicht auch eine bestimmte weltzugewandte und gerade nicht weitabgewandte Askese. Der Architekt betont diese Askese vor allem vom Material her. Er braucht unverstellte, nicht geglättete oder aufpolierte Materialien. Diese täuschen nichts vor, sondern sie dienen. Sie sind darin nicht langweilig und falsch puristisch, sondern es gibt dabei mit Recht zahlreiche spielerische Rhythmen. So sind Raumteile und ein Ganzes entstanden, die eine gewisse Strenge und Nüchternheit ausstrahlen. Ich höre im Werk auch den Anruf, sich mit dem Problem des Materiellen und der Armut im weitesten Sinn auseinanderzusetzen. In einigen Jahren wird das Werk durch Spuren der Zeit verändert sein und darin an den Menschen appellieren; er soll bedenken, daß ein jedes Ding seine Zeit hat und nicht ewig ist. Die Bedeutung von eher armen, einfachen und unverstellten Materialien erinnert mich immer an das Wort eines protestantischen Denkers: das Ende der Wege Gottes sei die Leiblichkeit. Sicher dürfen wir dieses Wort — auch in Gedanken an Teilhard de Chardin — ausweiten und sagen: das Ende des Gattesweges mit dem Menschen und der Welt ist die Materie. Und das heißt dann: Gottes Wege im Leiblichen, im Natürlichen, in der Materie suchen! Das scheint mir sowohl franziskanisch wie biblisch und echt evangelisch. Gott gibt dann nicht dem recht, was falsch-idealistisch aufgestockt ist, sondern er rechtfertigt das, was unten ist: das Natürliche, das Einfache, die Armut, die gezeichnete Materie. Und es suchen heute viele mit Recht die Transzendenz in solch immanenten Strukturen.

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