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„Westrom“ in „Ostrom“

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Zwei Tage hindurch brachten die türkischen Zeitungen Bilder und Berichte über den Papstbesuch auf der Titelseite. Für die Türken selbst war es kein Tagesereignis. Wohl sah man auf dem Flugplatz bei der Ankunft des Papstes viele Menschen. Aber die Ränder der sechs-bahnigen Autostraße nach Istanbul waren leer. In weiten Abständen standen hier Soldaten oder hinter der Stadtmauer Berittene und da und dort Leute. Das schwache Polizeiaufgebot genügte durchaus. Größere Menschenansammlungen gab es nur beim Phanar (dem Patriarchensitz), bei der Apostolischen Delegatur in Istanbul, in Ephesus und bei den ökumenischen Gottesdiensten.

Besonders herzlich war die Begrüßung zwischen Papst Paul VI. und dem ökumenischen Patriarch Athenagoras I. Kaum hatte Paul VI. die Gestalt des Patriarchen in der Begrüßungsgruppe entdeckt, als er mit weitgeöffneten Armen auf ihn zueilte. Papst und Patriarch umarmten einander...

Überall sah man orthodoxe Christen griechischer Abstammung. In Izmir, wo in der katholischen Kirche der Schlußgottesdienst statt-

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fand, bildeten die weißen und schwarzen Angehörigen der US-Stützpunkte, die mit Frauen und Kindern gekommen waren, einen wesentlichen Teil der Versammelten. Hier beteten Christen der verschiedensten Bekenntnisse — Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner, Calviner, Protestanten — zusammen .

Für die zahlreichen Reporter und Journalisten hatte man im Hilton-Hotel von Istanbul ein provisorisches Pressezentrum eingerichtet. Trotz der Absperrungen an den „Brennpunkten“ gelang es der Polizei oft nicht, den Weg des Papstes freizuhalten. Wie Bienen schwirrten die Photo- und Filmreporter um den Papst. Es war ein harter Kampf um den günstigen Augenblick.

Der Höhepunkt des Besuchs Papst Pauls VI. in der Türkei war die Begegnung mit Patriarch Athenagoras I. von Konstantinopel. Die Zusammenkunft, der bekanntlich im Jänner 1964 bereits ein erstes Treffen zwischen Paul VI. und Athenagoras in Jerusalem vorausgegangen war, fand am Sitz des Patriarchen statt, einem Gebäudekomplex, der im alten Stadtteil Fener am Goldenen Horn liegt. Mittelpunkt des

„Phanars“ bildet die Patriarchats-bosiliica, in die Athenagoras, der Paul VI. am Eingang seiner Residenz erwartet hatte, seinen Gast unter dem Jubel der in der Kirche versammelten Christen an der Hand hineingeleitete. Hier wurde zum erstenmal seit 900 Jahren wieder in einer griechischen Kirche der Name des Papstes vor dem des Patriarchen genannt... Paul VI. und Athenagoras sprachen gemeinsam ein Gebet um Frieden und um Einheit der Kirche ...

Welche Bedeutung mag der Papstbesuch für den Durchschnittsbürger der Türkei gehabt haben? Noch sehe ich sie deutlich vor mir: Die Schuhputzer am Straßenrand, die Lehrbuben in den dunklen engen Arbeitsstätten, die Limonadeverkäufer, die Taxifahrer, die kleinen Kinder, die unbekümmert im Gewirr des Autoverkehrs fangen spielten und den Polizisten, der ihnen teilnahmslos zusah. Noch höre ich das schrille nächtliche Hupkonzert der Autos in Izmir und das deutsche Psalmengebet der österreichischen Barmherzigen Schwestern am frühen Morgen, während weit über die Stadt langgezogene Rufe von den Minaretts hallen, verstärkt von Lautsprechern und abgespielt von Tonbändern ...

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