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Avignon ist überall

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Einer muß der Chef sein. Autorität hin oder her! Darüber könnte sich sogar die heutige Welt verständigen. Die Erfahrung zeigt, daß es mancherlei Wege an die Spitze von Großorganisationen gibt. Demokratiebewußtsein bevorzugt einen Wahlvorgang, der nicht erst in der Stunde der Wahl nach den Wünschen des an die Spitze Strebenden gemodelt wird, sondern der schon vorher seine Satzungen und sein Gremium hat. Keiner soll sich selbst inthronisieren!

Was die Päpste anlangt, hat unsere Kirche ihr Lehrgeld seit Avignon bezahlt und seither noch einiges Kleingeld dazugelegt. Kein Kritiker, der vieles bezweifelt, bezweifelt heute, daß der Papst immerhin der Papst ist. Irgendwo in der Provence oder in Amerika taucht zwar mitunter noch ein anderer Papst auf, aber der macht in seiner Skurrilität nicht einmal Kirchengeschichte. Das Thema ist eindeutig geregelt. Ein Plus unter mancherlei Strukturschwierigkeiten.

Blicken wir nach solcher Fixierung in die gesellschaftliche und mediale Runde, so stellen wir jedoch fest, daß es im profanen Bereich von allerlei Päpsten nur so wimmelt. Das große Schisma war ein Kinderspiel gegen diese Zustände. Da haben wir, um beim deutschen Sprachraum anzufangen, einen Literatur-Papst, Marcel I., bürgerlichen Doppelnamens Reich-Ranicki, der mit seinen General-Staatssekretären gerne öffentlich Quartett spielt. Heiligsprechungen und Bannflüche sind abwechselnd an der Tagesordnung. Die Zeremonien sind festgelegt. Fragt sich nur, wer diesen Papst in geheimer Wahl erkoren hat. Ein Konklave der Journalisten? Und fragt sich weiter, wieviele ähnliche Päpste gibt es in anderen Sprachräumen und Literaturen? Und warum haben wir, da uns im Repu-bliks- und Millenniumsjahr die österreichische Literatur so am Herzen liegt, keinen eigenen österreichischen Literatur-

papst? Sollte da etwa gar eine Päpstin? Lassen wir das, es rührt an einem aktuell entzündeten Empfindlichkeitsnerv.

Die weiteren Päpste sitzen vorwiegend in Frankreich und Italien. Es sind die Modepäpste, die sich gerne als solche beweihräuchern lassen. Ihre Alleinvertretungsansprüche kollidieren heftig, ihre Altäre sind die Laufstege und ihr Ablaßhandel ist unverschämter als je im Mittelalter. Wir kennen die Bituale aus den bunten Medien. Irgendwann unterwerfen wir uns ihren sanften Diktaturen. Wer wagt schon ohne ihre Zustimmung sein Sakko einmal oder zweimal zuzuknöpfen?

Deutsche oder britische Modepäpste sind eher umstritten. Da ist doch die österreichische Bescheidenheit zu rühmen. Nicht einmal unser verblichener Opernball-Professor beanspruchte das Papsttum.

Dafür treten andere Päpste in die Arena, die Sport-Päpste. Die vom Fußball oder von diversen Bennen sind populär, aber bei Bedarf hat schon jede Disziplin einen. Von ihrem Segen hängt es ab, wer zu welchem Spiel antritt. Keine Bunde ohne einen Papst. Wer wählt und inthronisiert ihn?

Auch der Nachfolger eines Tigers kann Papst werden. Voraussetzung

dazu ist allerdings ein Beich von dieser Welt wie es nur ein Land wie Österreich mit seinem Bundfunk besitzt. Gerhard I., Medienpapst, junggeweiht, Beherrscher der Wellen, den Titel teilend mit Hans I., Beherrscher der Botationspressen. In einer Hand hat das nur südlich von uns der Medienpapst Berlusconi, aber der ist angefochten.

Von den vielen Kultur- und Wissenschaftspäpsten wollen wir hier gar nicht reden. Auf vielen Lehrkanzeln sitzen sie, Päpste ihres Fachs, streng oder milde regierend und lehrend.

Zu vermelden ist aber auch österreichische Bescheidenheit. Wir haben keine Betriebs-, Gemeinde- oder Landespäpste. Unsere Demokraten heißen Betriebs- oder Gemeindekaiser, beziehungsweise Landesfürsten. Die monarchische Beminiszenz ist da stärker.

Die höchste Instanz hierzulande freilich sind die Meteorologen. Sie haben sich den Titel nicht angemaßt, aber der Volksmund nennt sie Wettergötter. Sie selbst berufen sich nur auf diese in der Einzahl, stehen also erklärend mit dem Wettergott im Bunde, schauen ihm über die Schulter, sind sein Stellvertreter auf Erden. Was könnte denn päpstlicher sein?

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