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Digital In Arbeit

Das gesamte Bild des Lebens

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Man stellt sich die Religion als eine bestimmte, partielle Tätigkeitsform des Menschen vor, die — wie so viele andere auch — auf ihr spezifisches Gebiet, auf konkrete Formen und festgesetzte Zeiten beschränkt bleibt, kurz, als einen Teilaspekt menschlicher Aktivität.

Und doch bezieht sich die Religion nicht nur auf Einzelerscheinungen; sie umspannt das gesamte Bild des Lebens, den ganzen Horizont der Realität. Nichts ist ihr fremd, nichts überlegen. Alles ist einbezogen in der Universalität der Anschauung, die sie vermittelt.

Daß diejenigen sie nicht begreifen, die den Sektor ihrer Beobachtung und Erfahrung willentlich begrenzen, wie so viele Männer der Wissenschaft und des Geschäftslebens es tun, ist verständlich. Ein Problem verneinen heißt aber nicht, es lösen. Das Einsichtsvermögen solcher Menschen ist eben segmental eingeengt und von illusorischer, weil partieller Klarheit; es ermißt nicht die wahren Dimensionen der Realität.

Und daß für diejenigen, die Gott aus der Schau der Welt und des Lebens auszuschließen meinen, die Welt zu etwas grausam Absurdem und das Leben zu einem Angsttraum wird, ist gleichfalls verstandlich. Wenn das Licht der Schöpfung erlischt, fällt sie in Finsternis. Die Welt wird trübe, bitter, gewalttätig, gemein. Der Gottlose hat das väterliche Erbe der Freude eingebüßt, denn Freude kann nicht entspringen aus Anarchie, die sich zum Schwerpunkt des Universums macht.

Für die Welt der Arbeit, in der so viel geschehen ist, um dieses Licht zu löschen, und die so weit darin gekommen ist, wird es nicht leicht sein, es wieder zu entzünden. Die geistige Bemühung, die notwendig ist, um den modernen Atheismus zu überwinden, ist keineswegs gering zu achten, besonders wenn zeitgenössische Propheten der Literatur und des Schauspiels sich zu ihrer Entmutigung verschwören: „... ob es einen Heiligen ohne Gott geben kann, ist heute für mich das einzige konkrete Problem...“, läßt der die Nachkriegszeit repräsentierende Schriftsteller Camus eine seiner Personen sagen.

Es ist daher nicht verwunderlich, aber beklagenswert, wenn eine Welle des Skeptizismus und der inneren Verzweiflung die neue Generation überflutet und napienlose Trostlosigkeit sich in die Herzen so vieler ergießt, so daß sie ihr Leben verwünschen und sich mit dem falschen Paradies vulgärer Freuden begnügen.

Doch es kann uns Hilfe zuteil werden, meine Freunde, unsere schwere Aufgabe kann uns erleichtert werden. Die Lösung ist nahe. Sie kommt uns entgegen. Sie kommt hier und heute in der Gestalt einer einfachen Frau. Sie ist eine der Unseren, können wir sagen, denn ihr Leben war einfach, arm, voll Mühe und Leid.

Ihr Antlitz strahlt im Widerschein unaussprechlicher Schönheit. Ihr Herz ist königlich, Poesie ihre Sprache, prophetisch ihr Wort. Sie kommt und bringt uns das KIND. Sie haben verstanden: es ist Maria, es ist Christus, das Mensch gewordene Wort Gottes, unser Bruder, unser Meister.

Er sagt, diese Mühe sei gut. Sie diene nicht nur der Entwicklung der Persönlichkeit des Menschen, sondern seiner Läuterung, seiner Erlösung. Damit die Welt besser wird. Wir können unsere Arbeit als Gabe der Liebe den Kindern, den Brüdern, der Gemeinschaft schenken; sie hat nicht bloß eine wirtschaftliche Funktion, sondern eine hohe moralische und spirituelle Sendung.

Menschliche Arbeit, harte Arbeit vor allem, kann Mitwirkerin sein an der Erlösung der Welt — Passion, die sich dem großen Geheimnis der Passion Christi vermählt.

So süß, so tief ist Sein Wort, so menschlich. Hören wir es einen Augenblick nur: „Selig, die da Leid tragen, denn sie werden getröstet werden! Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden“ (Matth. 5, 4 und 6).

Ein moderner — und wahrhaftig kein klerikaler! — Schriftsteller schrieb: „Selig, die da leiden, und wehe den Genußsüchtigen! Weil es diesen Ruf erschallen ließ, hat das Evangelium zweitausend Jahre lang auf der Welt geherrscht“ (A. France).

Und der Ruf geht weiter. Klangvoll, mächtig, nah ertönt die Stimme. Hören wir: „Kommt zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und Ich werde euch erquicken“ (Matth. 11, 28).

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