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Ein Zeuge österreichischer Dichtung

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EROS THANATOS. Novellen. Von Richard von S c h a u k a 1. Band II der gesammelten Werke in Auswahl, herausgegeben von Lotte von S c h a u k a 1 und Doktor Norbert Laneer. Amandus-Verlae, Wien-Köln. 1961. 330 Seiten. Leinen. Prei 9 S.

FjsJjLjZjJ befürchten, daß dem ersten Band fcr gesammelten Werke Richard W'cffaüW' infolge' df tragischen Todes von Josef Friedrich Fuchs, der den Amandus-Verlag leitete und mit der Tochter des Dichters die Herausgabe besorgte, nicht so bald ein zweiter folgen würde. Nun liegt doch mit dem Abstand von einem Jahr der zweite Band vor, der unter dem Titel „Eros Thanatos“ die schönsten Novellen Schaukais sammelt, ein Gedanke, den er selbst schon einmal ins Auge gefaßt hatte. In dem vorliegenden Band sind die drei unter dem ursprünglichen Titel von 1906 gefaßten Novellen enthalten, weiter die beiden Geschichten „Mathias Siebenlist“ und „Elisa Hußfeldt“, 1908 unter dem Titel „Schlemihle“ veröffentlicht, und außerdem noch die 1920 entstandenen „Dionys-bäcsi“ und „Die Krücke“ Es scheint ein unauflösbares Rätsel bleiben zu wollen, weshalb dieser Meister österreichischer Form und Geisteshaltung so schnell in den Schatten getreten ist (oder gar gestellt wurde?). Denn sowohl der. der bloße Unterhaltung durch eine Geschichte sucht, wird hier fesselnde Lektüre finden, die ihn dazu noch in eine Welt versetzt, welcher das Publikumsinteresse entgegenkommt, nämlich die der alten Aristokratie, als auch der literarisch anspruchsvolle Leser wird hier sein Gefühl für Form befriedigen und bilden können, deren Reichtum, wie Nadler einmal sagte, nicht Menge, sondern Seltenheit heißt, als auch schließlich der, den der anspruchsvolle Titel „Eros Thanatos“ interessiert; und alle werden sie unterschiedslos jenen Österreicher antreffen, von dessen Namen wir Heutigen immer noch leben. Sowohl Spannung wie Form wie das Problem von Liebe und Tod tragen die Note dessen, was man in der Welt österreichische Kultiviertheit genannt hat. Die spannende Erzählung sinkt nie zum billigen Zeitungsroman herab. Was die Form angeht, so müßte man wirklich einmal in einem literarhistorischen Seminar den ohne Zweifel aufschluß-und ergebnisreichen Vergleich zwischen dem Österreicher Schaukai und dem Norddeutschen Thomas Mann, dessen nur um ein Jahr jüngerer Zeitgenosse er war, anstellen, das ergäbe an Hand von ganz konkreten Beispielen eine herrliche Studie darüber, was österreichische Literatur ist. und würde über die Stilkritik hinaus auch vom Thema des Eros Thanatos her gerade einem Thomas Mann gegenüber standhalten.

Zu diesem Vergleich werden heute lieber Musil oder Doderer herangezogen, aber man müßte eben wirklich einmal nicht auf die Menge, sondern auf die Seltenheit achten. Wenn auch die Novelle nicht letztes Ziel des Schaffens von Schaukai war, so war sie ihm doch, wie das Nachwort bemerkt, Bewährung seines großen artistischen Könnens. Schaukai gebraucht in seiner Auseinandersetzung mit Karl Kraus, den er als einzigen seiner deutsch schreibenden Zeitgenossen als lesenswert erachtete, nahezu die gleichen Bilder wie Thomas Mann, wenn er sich in einer Reflexion zu charakterisieren versucht (das Bedenken von beiden Seiten, Ausgleich der Gewichte, Denken in Spiralen gerade gegenüber Eindeutigkeit, die Einseitigkeit werden kann, Ehrfurcht vor dem zweiseitigen Verhalten; und Ehrfurcht wäre hier ein Schlüsselbegriff, sowohl Thomas Mann wie Karl Kraus gegenüber). „Unmittelbar oder mittelbar ist alles als persönliche Äußerung zu erachten, schließt sich, aus mir notwendigerweise hervorgehend, zu einer vielfältigen Selbstdarstellung zusammen“, sagt einmal Schaukai. Gerade das hat jemand einmal als Merkmal des literarischen Schaffens des Österreichers bezeichnet. „Mathias Siebenlist“ sollte man daher zuerst lesen, um die richtige Perspektive zu bekommen. die wohl stärkste im Bekenntnis stehende Erzählung. Und auch der nur auf die Geschichte Ausgehende wird, von ihr erfaßt, plötzlich mit anderen Augen lesen.

Hoffentlich rückt die ebenso verdienstvolle wie wünschenswerte Herausgabe der gesammelten Werke den Dichter wieder mehr in das Licht. Es ist eine unentschuldbare Verpflichtung, Schaukai heute wieder zu uns reden zu lassen, nicht zuletzt deswegen, weil er auch den heutigen Künstler heilsam erziehen könnte. Ihm sagt Schaukai, ähnlich wie einst schon Schiller dem Genie, das sich allzusehr auf Geburt und ursprüngliche Subjektivität verließ, welche es sich durch „Bildung“ nicht verderben lassen wollte („Anmut und Würde“): „Ich bin zum Dichter geboren und habe mich am Leben zum Denker und Schriftsteller erzogen.“

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