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Geschichte einer geistlichen Berufung

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DER ROTE HUT. Roman. Von Bruce Marshall. Aus dem Englischen übersetzt von Jakob Hegner. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Olten i960. 248 Seiten. Preis 15.80 DM.

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DER ROTE HUT. Roman. Von Bruce Marshall. Aus dem Englischen übersetzt von Jakob Hegner. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Olten i960. 248 Seiten. Preis 15.80 DM.

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„Ein christlicher Schriftsteller“, bekennt Bruce Marshall einmal, „der über echte Christen schreibt, hat sie als gewöhnliche menschliche Geschöpfe zu schildern, die manchmal erfolgreich sind und öfter versagen. Wenn seine Sünder nicht ebenso wirklich sind wie seine Heiligen, könnte der unbefangene Leser daraus den Schluß ziehen, das ideal, das den Dichter inspiriert, sei ebenso unecht wie das Bild, das er von seinen Mitmenschen zeichnet.“

An diese Devise hält Marshall sich auch in seinen Priesterromanen. Seine Geistlichen sind keine blutleeren Idealgestalten. Sie sind Menschen mit Schwächen und Fehlern, denen die christliche Bewäh- tung keineswegs in den Schoß fällt, die vielmehr in ihrem Bemühen um Vollkommenheit ebenso oft scheitern wie jeder andere Mensch auch. Aber gerade dieser bittere Kampf gegen die eigene Unzulänglichkeit und gegen die heilig-unheilige Umwelt, dieser einsame und oft vergeblich scheinende Kampf seiner Priester um die Gnade ist es ja, der die Leser Marshalls immer von neuem in Bann zieht Nicht zuletzt auch die Menschen, die außerhalb der Kirche stehen, die Suchenden, und sogar die Verächter des Christentums, die den Kindern Gottes die Diskrepanz zwischen ihren Worten und Werken zum Vorwurf machen. Hier bei Marshall werden sie mit den ungeheuren Schwierigkeiten der christlichen Existenz konfrontiert. Hier ahnen sie, daß die häufig so unzulängliche Erfüllung des christlichen Anspruches durch die Gläubigen in der menschlichen Natur begründet ist, daß der Anspruch selbst aber von allen Verfälschungen und Verleumdungen letztlich unberührt bleibt.

In seinem neuen Roman „Der rote Hut“ — wohl der schönste und tiefste neben „Keiner kommt zu kurz“ — schildert Marshall den Lebensweg eines Priesters von seiner Weihe an bis zur Errin- gung der Kardinalswürde. Es sind fast ausschließlich Geistliche, die in diesem Buch eine Rolle spielen, und das geduldige „Ertragen“ seiner Mitpriester, zu dem der alte Erzbischof den jungen Kaplan Campbell ermutigt, gehört nicht zu den geringsten Aufgaben, vor die sich dieser Priester immer von neuem gestellt sieht. Er stößt und reibt sich an dem ebenso naiven wie schrankenlosen Egoismus seines ersten Pfarrherrn, er erschrickt zutiefst hei der Begegnung mit einem ziemlich vertrottelten spanischen Erzbischof und dessen Mitarbeitern, und er hadert, gemeinsam mit einem amerikanischen Bischof, mit jenen Vertretern der katholischen Kirche, „die ihr Geschützfeuer gegen die Fleischeslust verballern und der Grausamkeit und der Herzlosigkeit kein Haar krümmen".

Diese zuletzt erwähnte Überlegung taucht immer wieder in Marshalls neuem Buch auf und wird auch in bezug auf die Haltung der christlichen Kirchen gegenüber dem Krieg konsequent zu Ende gedacht. Ein junger Hauptmann sagt dem Feldkaplan Campbell unmißverständlich: wenn die Geistlichkeit einmütig erklären würde, „es sei unchristlicher, einen neunzehnjährigen Deutschen in einem Unterstand abzuknallen, nur weil man sich nicht mit Gefangenen belasten will, als sich eine Schneppe am Piccadilly aufzu-gabeln, dann würde sie staunen, wieviel junge Burschen auf sie hören würden. Weiß Gott, da kröche vielleicht sogar ich zurück.“

Und der alte Erzbischof Campbell sinniert, nachdem er Bernanos’ „Tagebuch eines Landpfarrers“ gelesen hat, über die Zustände in England im Jahre 1944:

„Feldgeistliche der Luftwaffe spendeten jungen Flegeln die Absolution für ihre Hurereien, ehe diese Burschen aufflogen, um mit Phosphorbomben Säuglinge in Kohle zu verwandeln. Und die katholische Hierarchie, er selber nicht ausgenommen, hatte dazu geschwiegen. Nur der Anglikaner Dr. Bell von Ghichester schien eingesehen zu haben, daß es ebenso feige war, waagrecht wie senkrecht auf Frauen und Kinder zu schießen. Und Bernard Shaw hatte festgestellt, daß der Peiniger, der die Todesqual seines Opfers nicht mit ansieht, ein ebensolcher Verbrecher ist wie der, der sie vor Augen hat. .

Andere heiße Eisen werden ebenso mutig und unmißverständlich angepackt, etwa die Auseinandersetzung mit dem modernen Agnostizismus, die Marshall zu der Frage veranlaßt, wie weit die christlichen Kirchen an seinem Anwachsen mitverantwortlich sind, weil sie die Entwicklung der Naturwissenschaften in ihr Denkgebäude bisher nur unvollkommen einbezogen haben.

Aber wichtiger als alles andere ist Marshall die vorbehaltlose Liebe des Christen gegenüber Freund und Feind, ln ihr sieht er auch die wesentlichste Aufgabe des Priesters, dessen Glaubensverkündigung ihn unvollkommen dünkt ohne den ganz konkreten Einsatz für den leidenden Mitmenschen.

Großartig, wie der Dichter alle diese Probleme nicht abstrakt abhandelt, sondern anschaulich in menschlichen Begegnungen verdichtet. Wie er auch noch in der Unordnung unserer Welt das göttliche Walten spürbar zu machen weiß — ganz unpathetisch und unaufdringlich und gerade dadurch um so wirksamer.

Jakob Hegners Übertragung ist eine köstliche Nachdichtung, bei der man vergißt, nicht das Original zu lesen.

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