6727119-1965_36_11.jpg
Digital In Arbeit

Sein und Schein

Werbung
Werbung
Werbung

Nach den Einwänden der Rezensentin gegen „Die Dame Mila“ war ihr die Lektüre von Marshalls Buch „Der verhinderte Held“ eine besondere Freude. Hier haben wir wieder alle die Züge, die den Autor für seine Freunde so anziehend, ja unwiderstehlich machen: Seine Fähigkeit, nicht nur eine Seite, sondern das komplexe Ganze zu sehen; seine Liebe zum Menschen in seiner Un-vollkommenheit und seinem Versagen; und seine Begabung, in der Wirrnis unserer Welt, selbst noch in den absurdesten Situationen, eine Ahnung von der großen Ordnung der Schöpfung spürbar zu machen.

Das alles wird hier vermittelt in der Geschichte eines Berufssoldaten, eines englischen Offiziers während der beiden Weltkriege und in der Zeit zwischen ihnen. Marshall spart nicht mit scharfer, manchmal recht ironischer und boshafter Gesellschaftskritik, und die Fragwürdigkeit sogenannter vaterländischer und militärischer Tugenden, deren Durchschlagskraft in der banalen Vereinfachung besteht, wird schonungslos angeprangert. Ob es nun um die Beziehung zum „Feind“ in patriotischer oder persönlicher Beziehung geht, der Autor läßt keinen Zweifel darüber, daß sie nicht zu lösen ist mit der üblichen Schwarz-Weiß-Sicht, sondern allein mit dem Ernstnehmen und der Verwirklichung der christlichen Devise „Liebet eure Feinde“.

Es gibt da Episoden, die die Unmenschlichkeit und demoralisierende Wirkung jeden Krieges demonstrieren, die nur aufgehoben werden kann1 durch das humane' Reagieren des einzelnen in seinem engen Bereich, eine Haltung, die ihm meistens den Zweifel an seiner patriotischen Gesinnung einträgt. Marshall zeigt das an Ereignissen beider Weltkriege, und zwar auf der englischen und der deutschen Seite. Es paßt schlecht in die gängige Schablone, wenn ein englischer Offizier einen sterbenden Deutschen zu trösten versucht; oder wenn ein hoher deutscher Offizier der Hitler-Armee später eben diesem Engländer Gelegenheit gibt, aus der Gefangenschaft zu entkommen, weil er von seinem Schicksal beeindruckt ist und ihm eine Chance geben möchte. Die Verwicklungen in beiden Fällen sind grotesk und gefährlich, im heutigen

Krieg bleibt wenig Spielraum für Mitleid und Ritterlichkeit.

Sehen wir uns nun die Handlung im einzelnen an. Der „verhinderte Held“, Strang Methuen, begegnet schon auf der Schule seinem Gegenspieler Claude Hermiston, einem jener brutalen und im Grunde feigen Charaktere, die immer die Unterlegenheit des anderen zum Quälen und Peinigen ausnützen. Er wird von dem jüngeren und schwächeren Methuen zweimal in die Schranken verwiesen, und beide Affären ziehen ihm die Rachsucht Hermistons zu, der zahlreiche Gelegenheiten im beruflichen und privaten Bereich findet, seinen Gegner entscheidend zu treffen. Zweimal setzt er ihn, durch bewußte Irreführung, dem Verdacht der Feigheit an der Front aus, versucht, ihn in ein Kriegsgerichtsverfahren zu verwickeln, das nur durch vernünftige und noble Vorgesetzte, die die Zusammenhänge durchschauen, abgewendet wird. Aber ein Fleck auf Methuens Ehre bleibt, er empfindet es als Schimpf, daß man ihn in die Heimat zurückversetzt. Was Wunder, daß er auf eine Gelegenheit wartet, sich zu rehabilitieren. Sie ergibt sich, als er endlich, durch das Eingreifen einflußreicher Freunde, wieder an die Front kommt. Ihm wird als Brigadier eine wichtige Operation auf dem italienischen Kriegsschauplatz anvertraut; aber sein durchaus überlegtes, verantwortungsbewußtes Handeln in einer schwierigen Situation wird schließlich, wiederum durch das Eingreifen Hermistons, als Versagen ausgelegt: als Versuch, persönlichen Mut um den Preis großer Verluste seines Bataillons zu beweisen. Diesmal endet die Sache mit der Entlassung Methuens unter ehrenrührigen Umständen: er wird im Rang herabgesetzt und auf Halbsold gestellt.

Hier nun findet Bruce Marshall Gelegenheit, einen Gescheiterten als heimlichen Sieger zu präsentieren. Methuen, der anständige englische Offizier, der hart unter dem Makel seiner angeblichen Feigheit und unter den Einbrüchen Hermistons in sein Privatleben gelitten hat, der als Soldat an den Kampf um „die gute Sache“, um „Glaubensmut“ und Gerechtigkeit gedacht hat und so kläglich mit diesem Glauben Schiffbruch erleidet, steht am Ende als einer da, der über das ihm widerfahrene Mißgeschick hinausgewachsen ist, Weil er weiß, daß es allein darauf ankommt, selbst das Rechte zu tun, und sei es um den Preis des Erfolges, ja des Ansehens in einer Welt, die den Schein über das Sein stellt.

Das Buch führt, wie Bruce Marshall das immer in seinen besten Werken getan hat, an Grundfragen unseres Daseins heran und an die Einsicht, daß alle Weltverbesserung beim einzelnen beginnt, bei der persönlichen Bewältigung der Augenblickssituation, die soviel schwieriger ist als jede grundsätzliche Stellungnahme zu weltanschaulichen Problemen. Die Übersetzung von Hans Flesch-Brunningen ist gut, erweist aber doch, daß Jakob Hegner als Interpret von Bruce Marshall unersetzlich ist

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung