6548133-1947_26_13.jpg
Digital In Arbeit

Innsbrucker Skizze

Werbung
Werbung
Werbung

Des Daseins Köstlichkeit liegt in der Weisheit „Vom Großen im Kleinen und Kleinsten“ enthalten. Ein schlichte Tatsache, die in Zeiten bedrängender Dürftigkeit, gleich der unseren, am deutlichsten Bestätigung findet. Eine Tatsache, die aber auch den gewaltigen Rhythmus des Lebens durchwebt, und um die sich die leuchtenden, großangelegten Lebensgaben in unauffälliger Gesetzmäßigkeit scharen. Ohne in den Kreis solcher Schau eingedrungen zu sein, ist es schwer denkbar, ein Land, eine Stadt, selbst die unansehnlidiste Mensdiensiedlung in ihrem innersten Wesen begreifen zu wollen, denn bei all diesem Begreifen kann es niemals um eine Übersicht gehen, die das äußerliche Geschehen umfaßt, sondern um eine solche, die den Rhythmus erfühlt, der einerseits dies Geschehen möglich werden läßt und andererseits aus diesem heraus erst seine Krönung erhält, also eine geheim vor sich gehende Wechselwirkung. Unter dem „Geschehen“ mögen die kulturellen Veranstaltungen und Gemeinsdiaften gedacht sein, das Alltagsleben in seinem Verlauf, die Gestaltung der Ruhe, und Feierzeiten, die Äußerungen, die si'ch aus allerlei sonstigen menschlichen Gegebenheiten formen, so auch aus dem Niedersdilag weltweiter Ereignisse in die Gegenwart hinein. Daraus wird sozusagen das Antlitz einer Gegend, einer Stadt.

Welch schlichtes, klares Antlitz trägt die kleine Stadt an Fluß- und Bergrand, di behütete, im Heimatsinn getreue, die herb versdilossene und doch fröhliche Stadt Innsbruck! Man muß sie kennen. Nicht nur in ihrer Gewandung, den Bauten, die ihre Gesdiichte tragen, sei es in verschwiegenen alten, uralten didsmaurigen Häusern mit Erkern und Giebeln, in prunkhaften Stätten, die von mancher Landesentscheidung zu erzählen wissen, in Gärten und Höfen — man muß sie vor allem in ihrem Pulsschlag kennen. Es ist ein gesunder, in Freiheit geordneter. Die kleine Stadt durchweht ein frisdier Wind, der bei aller Bodenständigkeit und daher wohlüberlegten Fühlungnahme

BtA außen, befruchtendem Ideengut gerne Einlaß gewährt. Daraus ergibt sich jenes außerordentlich rege kulturelle Leben mit starker eigenständiger Note, die allerorten zutage tritt. Hier geht ein jeder mit dem Eigengut einer mehr oder minder scharf umrissenen Persönlichkeit an das Gebotene heran, und setzt sich mit diesem auseinander. Niemals fallen übermäßig viel Worte, eher zu wenig. Der Tiroler an sich — ob Nord oder Süd — beherbergt ja in seinem Wesen eine gewisse Stille, um deren Kostbarkeit ein jedes lautere Völkchen ihn beneiden könnte, denn es liegen darin unvergleichliche Möglichkeiten in der Beziehung zur Umwelt, und besonders zu Gott. Mit dieser Stille geht jene Unfähigkeit zur Hast Hand in Hand. Auch dies ein Merkmal des Lebens und Treibens der Stadt Innsbrudc.

Man hat, geht man durch die Straßen, den Eindrudc, jeder habe zu tun, aber nicht zuviel. Alles Motorisierte wirkt daher a'ls Fremdkörper, der sich eingesdilichen. Eine einfache, der Landschaft angepaßte Zweckdienlichkeit, verrät die Kleidung, so daß, wer aus dieser Linie fällt, bemerkenswert wird. Selten auch begegnet man Menschen unseliger Halbheit, unerquicklichen Vertretern einer verbildeten Zivilisation, wo selbst die Kleidung zum Ausdruck innerer Unfreiheit wird. Es ist wiederum der Drang nach persönlicher Freiheit, der hier die Art sich zu kleiden vor allem bestimmt. Innsbruck ist keine Stadt der schidcen Menschen, man ist zu geringen Konzessionen in diesen Belangen bereit. Es ist übrigens auch keine Stadt der liebenswürdigen Menschen, wenn auch viel Freundlichkeit diese ersetzt. Wertvolles bäuerliches, erdverbundenes Gut überschirmt das Stadtleben, und aus der Zeit der alten Zünfte scheint im Handwerk ein Klang erhalten geblieben zu sein. Sonn- und feiertags, zeitlich am Morgen, kann man Gestalten von so rührender Schliditheit sehen, daß man den Tag in dankbarer Freude beginnt. Ein Bewahren guten Vätererbes ist auch sonst vielfach spürbar, und schafft die Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen. Enge ist die Bindung zur Natur in jeder Jahreszeit. Vom Frühling bis zum neuen Schnee duftet der Bergwald nieder, fast keine Straße ist so angelegt, daß sie ihm verschlossen bliebe, beinahe in jede grüßt er ungehindert herein. Und ist die Arbeitswoche um, macht sich jung und alt auf und sucht ihn heim, läßt sich beschenken von Sonne und Wind, von Wald und Freiheit. Vielleicht liegt in diesem Kraftquell das Geheimnis der außergewöhnlichen Langlebigkeit der Innsbrucker. Vielleicht ist es auch das Maß. Ein Gesetz weisen Maßes scheint unsichtbar zu walten. Darin verankert, ein aufrechtes Stehen zu Gott dem Herrn. Auch dies aus völlig freier innerster Entscheidung eines jeden einzelnen heraus, auf eines jeden eigene Art, die sich, dank ihrer Kraft, zu einer Landes-Heimatangelegenheit verdichtet. Deswegen aber ist Innsbruck etwa keine. Stadt der Heiligen, es ist nur gerade so, daß der Segen doch bei weitem überwiegt. Und ist dies nicht ungeheuer viel in einer Zeit so großer Wirrnis?

Darum wohl das herb verschlossene und dennoch fröhliche, das im Heimatsinn so durch und durch getreue Antlitz Innsbrucks.

Drlhte an meiner Mauer mit der Papierschere abzwidee, ;so schicken Sie mir wenigstens den Klavierstimmer, daß er sie auf die große Terz oder Quint stimme. Das Telephonwesen schließt ja die Menschlichkeit nicht aus! Verzweiflungsvoll usw.

Drei Tage später sandte die Telephongesellschaft wirklich einen Mann, der den

Drähren eine Art Gummigaloschen anzog. Seitdem konnte ich wieder leben. Diese Zeilen sind mein öffentlicher Dank an die löbliche Gesellschaft.

Aus Eduard Pötzl: „Die gute alte Zeit“, das demnächst in dem Wiener Verlag Brüder Hollinek erscheint.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung