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Luxusgedichte in der angeblich besten aller möglichen Welten

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Stephan Eibel, der die Landschaft seiner Herkunft in seinen Namen aufgenommen hat und sich nun Stephan Eibel Erzberg nennt, legt einen neuen Gedichtband vor. Er heißt „Luxusgedichte" und haut einer Luxusgesellschaft ihren Luxus um die Ohren. Es wurden davon innerhalb weniger Monate 400 Exemplare verkauft. Das ist für den Gedichtband eines österreichischen Autors derzeit schon ein Rekord. Das Zehnfache wäre richtig. Denn diese Gedichte sind ein Glückstreffer.

Der Band enthält Gedichte mit einer zum Teil gemeinsamen, mit großer künstlerischer Intelligenz entwickelten Sprache und gemeinsamem Aufbau, einheitlichem Duktus, mit genau kalkulierter Wirkung. Diese ist also alles andere als Glück im landläufigen Sinne, nämlich Zufall -für den Leser sind diese Gedichte aber einfach ein Glück, denn der Autor hat etwas zu sagen, sie sind gescheit, zugleich aber auch höchst vergnüglich zu lesen. Mit dem ganz einfachen, aber geschickt eingesetzten „Trick", Zeilen mit jeweils einem einzigen Wort wie „super" oder „glücklich" oder „toll" einzustreuen, erzielt er einen witzigen, aber auch das Gemeinte hervorhebenden Effekt. Bei den besten dieser Gedichte erreicht der Schrecken des Lesers über das Gesagte seinen Höhepunkt zugleich mit dem Vergnügen über die kunstvoll zurückgenommene und dabei ebenso kunstvoll auf die Spitze getriebene, pointierte Formulierung.

„Luxusgedichte" ist ein im weitesten Sinne politischer Gedichtband. Er behandelt nicht das von Freud konstatierte Unbehagen in der Kultur, sondern das Unbehagen im Komfort. Damit entschlüsselt sich auch der Titel der im Lauf von mehreren Jahren entstandenen Gedichtsammlung. Was unsere Gesellschaft erblickt, wenn ihr Eibel (und bekanntlich nicht nur er) den Spiegel vorhält, ist Luxus. Übersteigerter Luxus, den sie sich längst nicht mehr leisten kann. Dies einerseits wegen der ungerechten Verteilung, die drauf und dran ist, immer ungerechter zu werden, weil diese Gesellschaft immer mehr Menschen vom Luxus ausschließt. Andererseits deshalb, weil er selbst dann, wenn man das Verteilungsproblem ernsthaft in Angriff nähme, nicht allen Menschen geboten werden könnte, weil die Natur die Verschwendung schon jetzt nicht mehr aushält.

Jeder weiß, daß das Unbehagen angesichts dieser Situation zum Lebensgefühl einer steigenden Zahl von Menschen geworden ist* Diesem Lebensgefühl geben Eibeis Gedichte Ausdruck, es ist ihr Thema. Einst befiel das Unbehagen in der Kultur den Unmenschen und er schlug um sich, mordete oder sah dem Morden zu und zerstörte dabei seine Kultur. Das Unbehagen im Komfort ist das Gegenteil davon, erwächst aus der Reflexion, strebt nach Rückkehr in die Kultur.

Der Luxus unserer Luxusgesellschaft beruht nämlich auf der Lebenslüge einer Gesellschaft, deren „Eliten" sich einem asozial, ja antisozial gewordenen Neoliberalismus in die Arme geworfen haben und dabei, wie Voltaires Candide, meinen, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Dabei schaffen sie ein Meer von Elend - und die Voraussetzungen für die Ausbreitung einer neuen, inhumanen Radikalität.

Ebenso wie die Arten sind auch die Lebenslügen Produkte einer Evolution, weshalb mir beim Lesen von Stephan Eibeis „Luxusgedichten" ganz besonders die raffinierte Art gefiel, in der er, wenn er das Unbehagen im unmöglichen Komfort auf die verschiedensten Weisen diagnostiziert, immer wieder die wirkungsmächtigste Lebenslüge unserer Jetzt-und-hier-Ge-sellschaft, nämlich die Lüge von ihrem grundsätzlich humanen Wesen, hervorbrechen läßt. In dieser Lebenslüge hat diese Gesellschaft auch ihre Vergangenheit tatsächlich bewältigt - nämlich überwältigt und für Jahrzehnte eingeschläfert. Weshalb ein Gedicht über besagtes heutiges Lebensgefühl nicht zufällig „luxusgedicht nummer 1938" heiß.

Stephan Eibel ist einer vca denen, die die Zustände niemals au' sich beruhen ließen. Wer ihn kennt weiß: Er ist ein Querlieger, ein Unruiestifter, ein Provokanter, ein Lästijer, und wer ihn schätzt (und noch rrehr, wer mit ihm zusammengestoßen ist) weiß: In seinem Querliegen, Jnruhe-stiften, seinen Provokation« ist ein Element von Unberechenbaikeit.

Aber in seinem Anrennei gegen die Lebenslügen ist nichts Zifälliges. Da ist er ganz und gar er. Er, ler nicht anders kann - in einer Gesillschaft, die nicht anders können sdlte und sich in ihrem Anderskönnen ils inhuman verrät. So deutlich, klaiund dabei schön hat er dieses Anremen - soweit ich seine Arbeiten kenre - noch nie zum Ausdruck gebrach. Daher wäre das Zehnfache der bisier verkauften 400 Rändchen seirer „Luxusgedichte" auch nicht zuveI.

LUXUSGEDICHTE

Vin Stephan Eibel Erzberg. Deuticke Verlag, Wien 1995. 72 Seiten, kl, öS 198,-

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