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Nutznießer der Not

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Unter dem Titel „Liebesgaben — Nächstenliebe oder Schwindel?“ brachte die „Schweizerische Illustrierte Zeitung“ eine Bildreportage, deren Ergebnis die Antwort auf die gestellte Frage offen läßt. Dies allein schon muß traurig stimmen. Denn daß in jenem Lande, wo die „Liebesgaben“ erfunden wurden, gesagt werden muß, daß von über 170 „L i e b e s g a b e n‘‘ firmen nur knappe zehn als nicht auf Gewinn berechnete wirklich karitative Unternehmungen anerkannt wurden und daß bei den zuständigen eidgenössischen Behörden Hunderte von Strafanzeigen wegen grober geschäfts- technischer Mängel, Preisüberhaltung oder sonstiger. Beschwerdegründe einliefen, zeigt, daß hier wieder einmal ein Werk des guten Willens zu einem solchen des bösen Wullens gemacht worden ist.

Man darf selbstverständlich nicht verallgemeinern, und gar mancher Empfänger einer echten Schweizer Liebesgabensendung war darüber glücklich und es gibt solche, vor allem in den Hungergebieten Deutschlands, denen die Liebesgabe die Gesundheit bewahrte. Was mag es, da dem also. Unterstützten ausmachen, daß der ausländische Helfer vielleicht ein wenig mehr zahlte, als angemessen war und damit auch eine Handelsfirma und ihre Angestellten mitverdienen ließ. Nichts wäre falscher, wollte man hier schlechthin ein Aburteil aussprechen.

Aber manchmal gewinnt man den Eindruck, als handle es sich bei dem Wort „Liebesgaben“ um eine — allerdings sehr erfolgreiche — Reklameidee und oft geradezu um ein „Racket1', also ein ohne Rücksicht auf moralische oder gesetzliche Gepflogenheiten und Vorschriften angelegtes und wohlorganisiertes Großgeschäft im Chikagoer Stil. Wenn zum Beispiel seit etwa einem Vierteljahr die Zuckerpreise für Liebesgabensendungen aus der- Schweiz ins Schwanken kamen und um mehr-;als 50 Prozent zurückgingen (von 16 Schweizer Franken pro 5 Kilogramm Zucker auf heute 6 Schweizer Franken für dieselbe Menge), so läßt sich unschwer ermessen, was für Summen allein an dieser Ware verdient wurden. Der tschechische Einkaufspreis-blieb ja im wesentlichen unverändert zwischen 5C und 80 Rappen pro Kilogramm und auch die hohen Versicherungsspesen- sind wohl, nicht stärk gefallen. Daß auch an den 6 Franken noch gut verdient wird, ist wohl sicher; denn sonst würde nicht mit einem großen Aufgebot an . Reklame stets für neuen Umsatz geworben. - In Vorarlberg ist das tägliche „Licbcsgabcri'inserat in den Zeitungen schon , zum halboffiziellen Kurszettel der Warenbewertung geworden, wobei sich der Schwarzmarkt freilich nicht so entwickelt, hat wie etwa in Wien.

Die Umsätze sind sehr beträchtlich. Anläßlich der Bregenzer Festwoche wurden in Vorarlberg allein täglich 400 Zuckerpakete ausgefolgt und anderwärts sind Liebesgabensendungen von 100 Kilogramm Zucker, oder von einigen tausend Zigaretten für- ripe Einzelperson festaesrellt worden. Daß es sich bei solchen Anhäufungen nicht mehr um eine -epidemisch.-um sich greifende Liebe und, Hilfsbereitschaft des ausländischen Freundes handeln . kann, liegt auf der Hand. Die Frgejbniss .der Zollfahndungen mit Beschlagnajtmupg „von einer Million Zigaretten auf einmal, zeigten es bereits. Hier sind offenbar Schieber am Werk.

Viel Segen wird bis zum heutigen Tage durch dię Liebesgabenaktionen gestiftet und unvergeßlichen Dank Haben sich ihre Begründer und Mithelfer verdient. Daneben ist es . wohl ein , Zeichen einer zerrütteten Wertordnung, daß selbst der Name edler Einrichtungen als Deckung, für skrupellose Raffgier mißbraucht wird,

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