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PROFESSOR ERWIN STRANSKY NICHT RASTEND, NICHT ROSTEND

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Das brillant formulierte, mit Spannung erwartete psychiatrische Gutachten int Mordprozeß Faber kam aus dem Munde des letzten lebenden Assistenten des großen Wagner- Jauregg und heutigen Nestors der österreichischen Psychiater: Universitätsprofessor Dr. Erwin Stransky. Als Wissenschaftler von internationalem Ruf, als Lehrer und als ein von hohem ethischem Bewußtsein getragener Mensch, war er durch seine sechzigjährige Tätigkeit als Arzt berufen, das traditionsreiche Erbe der Wiener medizinischen Schule zu mehren. Blicken wir zurück. Geboren am 3. Juli 1877 in Wien, wo er das Gymnasium und die damals im Zenit ihres Ruhmes stehende Wiener Universität absolvierte, ist er noch im vortechnischen Europa zum Mann gereift. Dem schöpferischen Arzttum war das geistige Klima des 'Vielvölkerstaates besonders günstig gewesen. Im alten Oesterreich, wo ja viele selbst zu den Quellen des Geistes vorgestoßen sind, wurde auch das Wesen der Geisteskrankheiten erfolgreich erforscht. Namen wie Meynert, Krafft-Ebing, Freud, Obersteiner, Wagner-Jauregg und Economo sind für immer mit bahnbrechenden Erkenntnissen verbunden. Dieses ärztliche Denken hatte noch etwas von dem hellen Lichte Griechenlands, etwas von der genauen Klarheit jener Welt mitbekommen.

Stransky war nach der um die Jahrhundertwende erfolgten Promotion von 1902 bis 1907 klinischer Assistent, seit 1906 Gerichtssachverständiger. Er habilitierte sich 1908 und ist seit dem Jahre 1915 Professor. Den ersten Krieg machte er als Majorsarzt mit. Seine medizinische Wirksamkeit hat ihn auf den vorderen Platz gestellt. Die unaustilgbaren Leistungen des Mitbegründers der geltenden Schizophrenielehre wie des Vorkämpfers um die „psychisch? Hygiene“ in Oesterreich sind in mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen niedergelegt. Um äußere Ehrungen hat er sich nie bemüht, sie flogen dem einzig lebenden österreichischen Mitglied der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft auch so zu. Er nahm sie hin, ohne Gleichgültigkeit zu heucheln. Die harten Jahre nationalsozialistischer Verfolgung ertrug er an der Seite seiner tapferen Gattin mannhaft. Er redete fast nie davon, und wenn, so mit nobler

Gelassenheit. Denn es gibt ein Psychiaterwort über „die“ Hitler: in normalen Zeiten beherrschen wir sie, in abnormalen Zeiten sie uns.

In der 1952 erschienenen Schrift Stranskys, „Staatsführung und Psychopathie“, fordert er, wie schon 25 Jahre vorher, angesichts der unheilvollen Rolle, die seelisch abnorme Personen in der Geschichte gespielt hatten, es sollten die im Staatsleben wichtige Funktionen Bekleidenden vorher fachpathopsycho- logisch begutachtet werden. Welch großartige Idee! Aber in den dreißiger Jahren, als allenthalben schon die Diktatoren herrschten, hörte man solche Gedanken höchst ungern. Nur Polens Presse verteidigte sie damals. Heute, da wir wissen, daß Hitler krank war (bekanntlich gibt es dafür zwei ärztliche Gutachten: M. de Crinis, der Berliner Psychiater, konstatierte bei ihm eine Paralysis agitans, Himmlers Leibarzt Felix Kersten progressive Paralyse), kann man nur ausrufen: Was wäre der Welt erspart geblieben, hätte man die Anregungen Stranskys verwirklicht.

Nach dem zweiten Weltkrieg ging der Gelehrte ungebrochen an die geliebte Arbeit, der er bis heute unablässig obliegt. Man fragt nur, woher nimmt er die Spannkraft zu den vielen Reisen, die nie Spazierfahrten sind, zu den Vorträgen, zu der Mitarbeit an zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften? Dem im Psalmistenalter Stehenden, ihm aber spottenden sei gewünscht, daß er noch lange quickfrisch und rastlos tätig bleiben möge.

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