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Romano Guardini: „Mythos und Offenbarung“

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Nach diesen Grundstimmen sogleich das Außergewöhnliche: Der Höhepunkt der diesjährigen Hochschulwochen überhaupt: Romano G U a r d i n i. Es ist unmöglich, auf beschränktem Raum den lückenlos gefügten Quaderbau seiner Gedanken auch nur im Grundriß aufzuführen. Und dennoch war sein Vortrag „Mythos und Offenbarung“ von jener Luzidität, daß jeder das Eigentliche erfassen konnte: Jeder von uns, mag er sich noch so gläubig dünken, war bis ins, Innerste getroffen, als er, beginnend mit der ruhigen, fast eintönigen Beweisführung des Psychologen, und endend mit der klassischen Homiletik der biblischen Erschließung des Sündenfalls, enthüllte, was in unser aller Glauben verborgen dem Mythos zugehört.. Jenem Mythos, dessen Allgläubigkeit, innerweltliche Erlösung und magische Identifikationssehnsucht des Menschen mit Gott wie ein dunkler, geheimnisvoll anziehender Unterstrom unser Denken durchflutet. Nur wenn dieses Menschenbild, wenn diese zur Trostlosigkeit führende heidnische Verfallenheit wie ein alter Sauerteig herausgeschafft ist, kann das neue, das biblische Menschenbild erstrahlen. Der zur unendlichen Freiheit geschaffene, in seiner heilen Natur gottebenbildliche Mensch, der nur „ein weniges unter den Engeln steht“ in einer Welt, die keinem mythischen Urgrund von Werden und Vergehen entstammt, sondern von einem unendlich liebenden persönlichen Gott frei geschaffen wurde. Guardini schuf hier eine letzte Wegscheide der Geister. Daß es ihn selbst manchen wehen Abschied am unvermeidlichen Kreuzweg kostet, bewies das atemanhaltende Schweigen, als er für einen Augenblick mit dem Schöpfer der .Josefsromane — der alte ungläubige Thomas hatte in anderem Rahmen einen Abend zuvor sein fun-

kelnd kaltes Feuerwerk brillieren lassen — die geistige Klinge kreuzte.

Von ganz eigenartigem Reiz war an einem andern Abend dieser Woche die baltische Edelmannsgestalt Werner Bei-gengruens. Werk und Person wurden eins in dem dunkel schwebenden Rhythmus seiner Gedichte, in der vom Leiden weise gewordenen Menschlichkeit seiner Novelle „Das Netz“. Und schließlich: einer der feierlichsten Augenblicke. Als sich das gesamte Auditorium der 1000 Menschen, die die Aula maxima füllten, spontan erhob, um den Einzug der „großen alten Frau“ katholischer deutscher Dichtung, der Baronin Gertrud von Le Fort zu ehren. Die leise Stimme der zierlichen Aristokratin mit den sprechenden Goethe-Augen präludierte mit Gedichten der ihr eigenen Hymnenform, die, an Walt Whitmans Metrum gemahnend, abendländisch-maßvoll bleibt, und erhob sich zu prophetischer Würde in der nicht ohne tieferen Sinn gewählten Novelle „Die Tochter des Farinata“. Das Florenz der Guelfen und Ghibellinen im 13. Jahrhundert wird zum transparenten Paradigma europäischer Bruderfehde von heute, während der alles bedrohende Anjou vor den Toren steht. Der dort gewiesene, dort gegangene Weg christlicher Selbstverleugnung wird so zum einzigen, der einer Welt der kongreßmäßigen Verfahrenheit verbleibt.

Und nun die „anderen Planeten“, jeder für sich eine gewichtige Welt, in ihren Bahnen zuweilen sich kreuzend, für gewöhnlich aber ohne Zusammenstoß.

Des schöpferisch interpretierenden Philologen Prof. Lachmanns {Innsbruck) Ausdeutung der späten Hymnen Hölderlins, aus deren irisierenden Blitzen und Nordlichtern er das ewige Damaskusantlitz des Herrn zu erkennen glaubt, i

die vom Werke Kafkas (des Dichters der Welt ohne Gott) und Greenes (des

Dichters der Welt des immer gegenwärtigen Gottes) ausgehende Analyse Professor Hahns (Nimwegen) über Schuld und Gnade in der neueren Dichtung,

die vom Geiste seriöser Publizistik geprägten Untersuchungen Dr. H o h o f f s (München) und Dr. Zangeries (Innsbruck) — beide weniger der akademischen Tiefenergründung als der verantwortungsbewußten Zeitaussage verpflichtet. Man kann manchen Formulierungen Hohoffs, der vor allem eine ernstzunehmende Würdigung Faulkners in die Diskussion brachte, nur mit Einschränkung zustimmen. Dr. Zangeries von eigener Aktivität sprühende Worte fanden dort, wo sie, namentlich in der leidenschaftlichen Verteidigung dichterischer Eigenständigkeit steile, neue Wege einschlugen, einen Widerpart von hohen Graden in Gestalt Prof. Mauers, der — sit venia verbo — ganz zum Ende als Fortin-bras das Forum betrat und mit seinen unheimlich treffenden Formulierungen von der Verantwortlichkeit des Dichters dem höchsten Gesetz gegenüber den eigentlichen Epilog sprach.

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Bleibt noch von einem Stern, außerhalb dieses Planetensystems zu sprechen. Prof. N a d 1 e r s, von seinem berühmten Wissen geladene Ausdeutung der literarischen Unterströmungen des Abendlandes, die in geheimem Konnex mit morgenländischer Gnosis den Gralsmythos bestimmten, für den Wolframs für christlich gehaltenes Parzival-Epos

nur Verschlüsselung ist. Man wird den Einzelergebnissen kaum widersprechen können, wenn auch manches missing link nicht ganz überzeugt (Guyotl), man wird aber bei allem Respekt einen Widerspruch anmelden dürfen, wenn es um die Überbewertung ihrer Relevanz geht. In Bernus und dem späten Hauptmann die tiefsten Künder heutiger Gläubigkeit zu sehen und zu würdigen, ist ein Urteil von reichlich eigenwilliger Prägung. *

Diese Vielzahl geistiger Individualitäten nicht nur untereinander, sondern euch mit den die Woche umrahmenden Veranstaltungen, von denen die Marienpredigt P. Hugo Längs am „Großen Frauentag“ und der abschließende Beethoven-Abend Gilbert S c h u c h-t e r s besonders in der Erinnerung haftenbleiben, zu koordinieren, war eine Arbeit, bei der sich Energie und differenzierendes Fingerspitzengefühl die Waage halten mußten. So kann der als Zeichen höchster Anerkennung allen Teilnehmern übermittelte Segen des Papstes ganz besonders jenen gelten, die dieses im stillen wirksame Geschäft vollbrachten, dem Universitätsverein und seinen geistigen Vätern Professor P. Michels und Prof. P. Betschart sowie dem Generalsekretär Dr. Reinermann, in dessen vielbeschäftigten, aber immer taktvoll behutsamen Händen die sichtbaren und unsichtbaren Fäden zusammenliefen.

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