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Savonarola heute

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Die große tragische Gestalt des gewaltigen Büß- und Sittenpredigers der italienischen Renaissance, Girolamo Savonarola (1452—1498), hat immer wieder von neuem die Geister in ihren Bann geschlagen. Scharen von Historikern, Kirchengeschichtlern, Theologen und Philosophen haben sich um die Deutung und Wertung seines Lebens und seiner Wirksamkeit bemüht und sind dabei streckenweise selbst im katholischen Lager zu völlig verschiedenen Ergebnissen und schwer versöhnbaren Kontrasten gelangt. Mit Recht hat der Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle in seinem Vortrag auf dem Deutschen Historikertag in Graz 1927 von der Höhenwarte seiner ungemein vielseitig orientierten Schau bekannt: „Seit länger als vier Jahrhunderten steht Savonarola vor den Schranken des Weltgerichts der Geschichte, gegen den von geistlicher und weltlicher Justiz über ihn gefällten Spruch protestierend und die Wiederaufnahme des Verfahrens fordernd. Aber gegen eine nach allen Seiten gerechte Beurteilung dieses Reformators erheben sich die größten Schwierigkeiten, weil die Mannigfaltigkeit der hereinspielenden Fragen eine Vielseitigkeit des Wissens und der Schulung erfordert, wie sie nur äußerst selten einem einzelnen Manne beschieden sein wird. Oder haben etwa Historiker von der Bedeutung eines Pasquale Villari oder Ludwig von Pastor des Rätsels Lösung gefunden? Ihre Urteile gehen weit auseinander, und der Theologe hat bei beiden vieles zu beanstanden.“ Merkle, dessen geistiger Rang ganz unbestritten ist und der hier einmal durch ein wenig bekanntes Wort Pius' XI. beleuchtet werden mag (er habe kein wohl-orientierteres Urteil von katholischer Seite anläßlich des Reformationsjubiläums gelesen als das von Merkle), bemängelt aber auch, daß die Theologen im ganzen nicht glücklicher im Verständnis des florentinischen Ordensmannes gewesen seien. Dies stamme wohl von einer einseitigen Gelehrsamkeit in der systematischen Theologie, ohne genügende Kenntnis der historischen Theologie einschließlich der kirchlichen Rechts-, Sitten- und Disziplingeschichte. Daß die mangelnde Vertrautheit mit diesen Stoffgebieten die Schuld an einer unhistorischen Betrachtungsweise des Savonarola-Problems auch durch Historiker trägt, stellt der Würzburger Kirchenhistoriker unter Beweis. In seinem Grazer Vortrag konnte er freilich nicht alle Seiten der verwickelten Savo-narola-Frage aufrollen, mit der sich bereits Generationen von Historikern in Mittel- und Westeuropa befaßt hatten. Bei ihm schied die Annahme Rankes aus, daß Savonarola ein Vorläufer der Reformatoren des 16. Jahrhunderts gewesen sei, eine Auffassung, die bekanntlich zur Anbringung seiner Gestalt am Wormser Luther-Denkmal beigetragen hat.

Heyck sah Savonarolas geistigen Standort in seiner Schrift „Florenz und die Medici“ präziser als den eines „Geistesverwandten der Männer von Cluny und Hirsau, einen in seinem' ehrlichen Fanatismus gewaltigen und hinreißenden Reaktionär des konsequenten Mittelalters“. Auch auf französischem Boden hat die Auseinandersetzung, ob der Prior von San Marco ein Vorgänger der Reformation sei, ihre Furchen hinterlassen. Der Protestant Bonet-Maury hat diese These bejaht und sie damit begründet, daß Savonarola den Weg aller kirchlichen Rebellen beschritten habe, indem er die Abhaltung eines Konzils forderte, auf dem der unwürdige Papst Alexander VI. als „Simonist, Ketzer und Ungläubiger“ verurteilt werden sollte. Umgekehrt hat der französische Dominikaner C. Bayonne seinen Ordensbruder schon 1879 auf Grund von damals neuen Dokumenten von dieser Einreihung freistellen und seine Kanonisation anbahnen wollen.

L. von PastOT und S M e r k 1 e standen einander Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts bei der Beurteilung Sovanarolas in einer kaum zu verhehlenden Diskrepanz gegenüber. Der leidenschaftliche Gerechtigkeitssinn bei Urteilsmaßstäben, die Merkle an geschichtliche Personen und Perioden anzulegen pflegte, ist bekannt. Vielfach gefürchtet war seine Ironie in der wissenschaftlichen Diskussion, die ihn seine Grazer Konferenz über den Florentiner Prediger in den Satz ausklingen ließ: „Erst von Alexander VI. und seinen Verbündeten, dann von einer mehr eifrigen als kritischen Historiographie und Theologie in den Staub gezogen, aber von den ihm Nahestehenden und vom Volke als Heiliger geehrt, könnte er schließlich auch von der Kirche als solcher anerkannt und auf den Altar erhoben werden.“ Für diese freilich noch ein wenig kühne Vorhersage ist der Würzburger Hochschullehrer in der Konferenz zu Graz mit tiefgreifenden Argumenten eingetreten, natürlich keineswegs in der Richtung eines vorbereitenden Ver-' fahrens der päpstlichen Ritenkongregation, er übernahm vielmehr die sehr dornenvolle Aufgabe einer Revision von wohldurchdachten Urteilen anderer,-insbesondere des gefeierten Papsthistorikers Pastor. Daß dies keineswegs leicht war, davon wird sich jeder überzeugen, der im dritten Band der Papstgeschichte Pastors einen Einblick in das umfassende Arsenal und Beweismaterial gewinnt, das der große Aachener für seine nur sehr bedingt anerkennende Würdigung Savonarolas aufwendet. Vor der Öffentlichkeit ist diese Diskussion Merkle-Pastor durch den Tod des letzteren 1928 abgebrochen worden. Noch auf seinem Sterbelager schrieb Pastor eine eingehende Erwiderung auf die Kritik von Merkle an seiner Einstellung zu Savonarola in der „Deutschen Literaturzeitung“, 1928 (Heft 25). Mit einem gewissen Bedauern erfuhr man aus dem unlängst herausgegebenen Nachlaßwerk der Tagebücher, Briefe, Erinnerungen Pastors (F.-H.-Kerle-Verlag, Heidelberg), daß die Entgegnung des Papsthistorikers bisher nicht publiziert wurde. Aus zahlreichen Aufzeichnungen in den Tagebüchern Pastors erkennt man, wie sehr ihn die erschütternde Tragödie des Konflikts zwischen dem unseligen Papst Alexander VI. und dem durchaus edel gesinnten, sittenreinen, auf dem Scheiterhaufen verbrannten Savonarola beschäftigt hat und wie er Urteile über seine Einstellung dazu mit anderen Forschern, darunter Jakob Burckhardt, austauschte.

Der Faden des Themas, wie Licht und Schatten im Bilde des machtvollen prophetischen Florentiner Predigers zu verteilen seien, ist bisher nie ausgesponnen worden. Die Glut und ungeheure Wucht seiner Anklagen gegen die Sittenverderbnis in Florenz und am Hof Alexanders VI. hat die Geister der Historiker und Kritiker geschieden. Merkle billigt ihm die Gutgläubigkeit seines prophetischen Berufsbewußtseins zu. Er freute sich, daß die „Urteile heutiger Jesuiten über den heiiigmäßigen Dominikaner“ günstiger als ehedem lauten. Auch Pastor räumte ein, daß Savonarola nie ein Häretiker war und daß er den katholischen Glauben und die Moral mit hingebungsvollem Eifer verteidigte. Aber er bemängelte an ihm die manchmal maßlosen Rügen und Anklagen, die er auch nach seiner Exkommunikation von neuem von der Kanzel des Florentiner Domes erhob. Ferner eine Vermischung von Religion und Politik, die indessen Merkle und F. X. Kraus als für das Mittelalter typisch und daher nicht als persönlichen Fehler anrechenbar bezeichnet haben.

Der Grazer Kirchenhistoriker Andreas Posch kam schon vor einigen Jahren auf Grund sorgsamer Prüfung des ganzen Savonarola-Komplexes, insbesondere auch des subjektiven Bewußtseins des Priors von San Marco von seiner unmittelbaren göttlichen Sendung, die ihn den Kirchenbann verachten ließ, und der Beobachtung der neueren Literatur zu dem Eindruck, daß sich ein günstiges Urteil über den seltenen Mann Bahn bricht. Die Nüchternheit, die Pastor am Urteil Rankes rühmt, hat keinesfalls in der neuesten Zeit zu einer flachen Ernüchterung oder „Abwendung von der dominikanischen Legende“ geführt. Hiefür ist die unlängst im Verlag Otto Walter (OHen) erschienene Monographie „Savonarola, Revolutionär, Ketzer oder Prophet?“ von Nikolaus Sementovsky - Kurilo ein wertvolles Zeugnis. Ihre glänzende Diktion, die feine Verwebung des geschichtlichen Ablaufs mit philosophischen Gedankengängen und Ausblicken auf das Uberzeitliche Savonarolas gestalten die Lektüre des Buches geradezu packend. An den seltenen Stellen, wo der Verfasser in eine Polemik mit weniger günstigen Auffassungen über die Haltung Savonarolas eintritt, geschieht dies ohne Streitbarkeit. Vielleicht war der Autor davon überzeugt, daß der große Zug der Entwicklung bei der neuesten Geschichtsbetrachtung zugunsten seines Helden verlaufen werde.

Tatsächlich weist die jüngste Savona-rola-Literalur in Italien in diese Richtung, namentlich das Werk „ A 1 e s s a n d r o VI •e'Savonarola“ (Accademia d'Oropa, Turin) von V. S e 11 a und d'O 1 d e n i c o unter Mitarbeit von namhaften anderen Forschern. Dasselbe enthält eine italienische Ubersetzung der Breven und Briefe, die zwischen Alexander VI. und dem Florentiner Prediger gewechselt wurden, eingereiht in eine Chronik der wichtigsten Vorgänge und begleitet von anderen Erlassen des Papstes. Ein Teil des Buches ist Betrachtungen über die Dokumente gewidmet, die von hohem juristischem und theologischem Sachverständnis und sehr sorgsamem Urteil zeugen. Der Erzbischof von Turin, Kardinal Fossati, und andere hervorragende kirchliche Persönlichkeiten figurieren in dem Werk mit eigenen Schreiben. — Vor dem Abschluß steht heute die langersehnte Herausgabe der „Opera omnia“ Savonarolas, die von einem Ausschuß von Dominikanern der Provinz von San Marco unter Beteiligung bedeutender Gelehrter aus dem Laienstande bearbeitet werden. Sehr bemerkenswert heißt es in der Schrift „Alessandro VI e Savonarola“, daß sie dazu diene, eine ganze Menge Staub zu beseitigen, die sich um die Erscheinung Savonarolas angesammelt habe, „um ihre wahre Bedeutung zu erkennen“ und „ihm endlich jene Verherrlichung zu gewähren, die ein Akt der Gerechtigkeit ist, die die Geschichte einem der größten Bannerträger des sozialen Königtums Christi schuldeti“

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