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Als Schüler im Dritten Reich

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Wir waren damals Schüler, Gymnasiasten. Die Schule formte in großen Zügen — auch in manchen Einzelheiten — unser Weltbild, die Begriffe und Vorstellungen, mit denen wir andere Völker betrachteten. Da wir eine offizielle Weltanschauung — die-des Dritten Reiches — annehmen sollten, waren wir mehr als zu anderen Zeiten abhängig von der Einstellung der' Lehrer zum Regime, von den Akzenten, die sie setzten oder auch zu setzen versäumten.

Viele Lehrer standen dem Regime ablehnend oder zurückhaltend gegenüber. Sie konnten ihre Haltung nur in versteckter Form äußern. Auf diese Weise haben einige von ihnen sogar versucht, uns gegen die Einflüsse des Regimes immun zu machen. Sie waren Persönlichkeiten, die uns nach Wissen und Gewissen formten. Andere hatten die erklärte Absicht, uns im Geist des Regimes zu erziehen. So waren wir den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt. Die Lage führte zu Einseitigkeiten und empfindlichen Unterlassungen, auch zu Fällen ausgesprochener Propaganda. Diese war weniger wirksam, wenn wir sie in ihrer Art erkannten.

Der offenen Propaganda waren — mindestens im Anfang — in der Schule Grenzen gesetzt. Die Propaganda erweiterte aber ihren Einfluß,indem sie alle Lebenstoereiche untergrub. Sie suchte uns überall zu belehren, in Presse und Rundfunk, im Kino und in der Hitler-Jugend. Täglich waren wir — meist ohne es zu bemerken — in irgendeiner Form der Wirkung dieser Propaganda ausgesetzt. Ihre Parolen drangen daher auch auf Umwegen in unsere Schule ein. In zunehmendem Maß geriet so die Schule in den Bann der Propaganda. Das zeigte sich in der Judenfrage.Viele von uns hatten kaum einen Juden gesehen, jedoch hatten wir bestimmte Vorstellungen von „den Juden“. Unsere Vorstellungen waren wesentlich beeinflußt von der Lehre, daß „die Juden“ Jesus gekreuzigt hätten. Daß Jesus selbst und Seine Jünger Juden waren, wurde im Unterricht zuwenig hervorgehoben und blieb als historische Tatsache nicht im Bewußtsein. Wir sahen die Juden als Feinde Christi, ihr Name stand in Beziehung zu Spott und Verrat. Es gab Bilder, die diese Vorstellung profilierten. Sie zeigten gehässige, höhnische und brutale Gesichter um den kreuztragenden oder gekreuzigten Herrn. Der Gegensatz zwischen Ihm und diesen Juden war deutlich herausgestellt. Diese Gesichter vergaß man nicht. Sie wirkten durch die Erinnerung, wenn wir uns „die Juden“ vorzustellen suchten.

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