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Ausgehungert und abgeschoben

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„Die Slowaken haben ein schlech- tes Gewissen, weil sie ihre Juden im Krieg selbst deportiert haben." So erklärt sich Eduard Goldstücker, gebürtiger Slowake, die seit dem Umbruch hervortretenden antise- mitischen Tendenzen in seiner Heimat. Erzählt man das Preßbur- ger Bekannten, nennen sie es über- trieben, wenn auch nicht gänzlich falsch. Viele meinen, diese wach- sende Judenfeindlichkeit beschrän- ke sich ohnehin auf eine kleine Gruppe von Rechtsextremen. Je- denfalls beschäftigen die unrühm- lichen Ereignisse derzeit die slowa- kischen Medien. Endlich können die Fakten ohne parteiideologische Vorgaben diskutiert und erforscht werden, leider unter großen Schwie- rigkeiten. Allzuviele Zeitzeugen sind nicht mehr am Leben.

Bei den 10. Schlaininger Gesprä- chen des Burgenländischen Lan- desmuseums, heuer unter dem Motto „Die Juden - Geschichte, Kultur und Lebenswelt im Grenz- raum vom Mittelalter bis zur Ge- genwart", präsentierte Ivan Kame- nec (Universität Bratislava) eine umfassende Studie zum brisanten Thema. Zwei Konzeptionen zur „Lösung der Judenfrage" haben sich, so Kamenec, nach 1938 in slowakischen Führungskreisen herausgebildet: Eine konservativ- gemäßigte und eine radikal-faschi- stische. Seit der Gründung des „selbständigen" Staates (14. März 1939) bestimmten sie abwechselnd die Politik der regierenden Slowa- kischen Volkspartei.

Man operierte aber von Anfang an mit der These, die Juden seien Erzfeinde der slowakischen Nation. Gemäß der klerikalen Ausrichtung dieser Partei bildeten eher konfes- sionelle als rassische Prinzipien die ideelle Basis der Verfolgungen, ob- wohl diedortige Kirche scharf gegen die Maßnahmen protestiert hat.

Zuerst folgte man einer gemäßig- ten Linie. Man bemühte sich, die Präsenz der Juden im Wirtschafts- leben auf rund vier Prozent zu re- duzieren, was ungefähr ihrem Be- völkerungsanteil entsprach. Aber die potentiellen heimischen Nutz- nießer dieser ersten, noch freiwilli- gen Arisierung waren finanziell und organisatorisch mit den neuen Regelungen überfordert. Deutsche Firmen und Banken aus dem Reich nützten das bereitwillig aus, indem sie die ertragreichsten jüdischen Unternehmen in Besitz nahmen.

Nun setzte eine Emigrationswel- le ein, ermöglicht von in- und aus- ländischen karitativen jüdischen Vereinigungen. Aber nur die wohl- habende Oberschicht konnte sich den sogenannten „Auswanderungs- transfer" leisten, bei dem ein Teil ihres Vermögens zurückbleiben mußte. Unterdessen verübten die dem radikalen Flügel der Regie- rung nahestehenden Hlinka-Gar- den laufend Erpressungen, Pogrom- aktionen und so weiter. Nach den slowakisch-deutschen Verhandlun- gen in Salzburg (1940) würde ein Sonderbeauftragter für Judenfra- gen in die Slowakei entsandt. Er brachte einen einfachen Plan mit: Man entledige die Juden (etwa 89.000) aller Verdienstmöglichkei- ten, so daß dem Staat ein ernstes soziales Problem erwachse, lösbar nur durch Abschiebung der Ver- armten ins Reich.

Eine „Zentrale der Juden" wurde eingerichtet, der sie alle beitreten mußten; sie diente als Übertra- gungshebel für Repressalien aller Art. Diese schädigten allerdings die Slowakische Wirtschaft schwer. Besonders die Geldinstitute erlit- ten arge Einbußen, weil die Ariseu- re nicht bereit waren, die finanziel- len Verpflichtungen der jüdischen Vorbesitzer zu übernehmen. Ver- schont blieben Fachkräfte, etwa Ärzte, für die es vorerst keinen Ersatz gab. Deshalb veranstaltete die „Zentrale" für ihre Mitglieder Requalifikationskurse. Trotzdem kamen binnen kurzem Tausende an den Bettelstab. Das Regime dachte zwar daran, im Land selbst Ghettos und Mammutarbeitslager für sie zu errichten, aber das wurde nur in Ansätzen realisiert, schon weil dazu die Mittel fehlten.

1941 wurde slowakischen Regie- rungsvertretern im „Führerhaupt- quartier" die Möglichkeit angebo- ten, ihre Juden auf einem nicht näher bezeichneten Territorium des okkupierten Polen „plazieren" zu lassen. Die Nazis ließen sich dafür hervorragend bezahlen: 5.000 Kro- nen (500 Reichsmark) pro Kopf lei- stete die Slowakei. Bis Herbst 1942 wurden fast 58.000 Personen de- portiert. Umsonst versuchte die „Zentrale" nachzuweisen, daß dies physischer Vernichtung gleichkam.

Rettend konnte (wenn auch nicht verläßlich) die Taufe wirken, weil die slowakische Kirche Konverti- ten besonders unterstützte. Heimi- sche Bischöfe verurteilten die Transporte, ebenso der Vatikan mittels einer diplomatischen Note und durch Intervention seines Nuntius in Bratislava. All das war für die Regierungspartei insofern besonders unangenehm, als sie ja das christliche Bekenntnis auf ihre Fahnen schrieb. Und in weiten Kreisen der Bevölkerung riefen zwar nicht die wirtschaftlichen Maßnahmen, wohl aber die bruta- len Ausschreitungen gegen die Juden und die Verschleppungen Erbitterung hervor.

Die erste Phase der Deportatio- nen endete unter dem Druck der Öffentlichkeit. Ein Trend zur Bes- serung folgte - bis zur Besetzung der Slowakei durch deutsche Ein- heiten im Herbst 1944. Sie kamen nicht nur, um den örtlichen antifa- schistischen Aufstand zu unter- drücken, sondern auch, um die Endlösung effektiv durchzuführen. Rund 10.000Juden überlebten, etwa zehn Prozent, dank individueller Hilfe aus der Bevölkerung.

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