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Ein verdrängtes Thema

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Das Thema, das ist die einfache Erklärung, Wurde nicht erst von den Schulbehörden zum Unproblem gemacht; es wurde in Monarchie und Republik von den Führüngsschich-ten glatt verdrängt oder bewußt vernichtigt und nur in verächtlichen Witzen und im Spott gleichsam als Zaungast zugelassen, damit aber für die Betroffenen in gravierender Weise verschärft. Es erübrigt sich die Bemerkung, daß wir in dieser Hinsicht noch heute auf der gleichen Stelle treten. Davon zeugt die in breiten Kreisen weiterhin übliche Einschätzung Österreichs als eines „deutschen Staates“ mit der quan-tite negligeable bestimmter „Minderheiten“ (welch signifikantes Wort!). Wer aber, gestützt auf solche Erkenntnisse, etwa in der „Bundes-turnzeitung“ blättert, wird nun ohne Verwunderung feststellen können, daß in diesem Lager die häufigen slawischen Namen noch immer darauf warten, erlöst, nämlich in ihrer eigentlich österreichischen und menschheitlichen Funktion als zutiefst sinnvoll erkannt zu werden ...

„Jude, aber doch anständig“

In der Volksschule saß ich — wir wohnten in der Leopoldstadt — in einer fast rein jüdischen Klasse. Ich kann mit Sicherheit behaupten, daß mich damals dieser Umstand weder erfreute noch störte. Ich war mit Kohn, Löwy und Knopf völlig unbefangen in Kinderfreundschaften verbunden. Ja, mir fällt heute sogar auf, daß es solche Freundschaften mit Kadlec und Skonkanitsch nicht gab. In der Mittelschule waren wenige jüdische Schüler. Für einen von ihnen schwindelte ich ebenso gefahrvoll vie erfolgreich noch während de schriftlichen Matura, als ich in der Theorie und aus ererbtem Vorurteil längst schon dem Antisemitismus huldigte. Woher kam die Feindschaft gegen die Juden?

Sie war einerseits Kind jener im sogenannten Mittelstand weitverbreiteten Einstellung, die die Erwachsenen vor uns Kindern immer wieder über jemand sagen ließ, er sei „zwar ein Jude, aber ein anständiger Mensch“. Es ist hier nicht der Ort, auf diesen außerordentlich gewichtigen Faktor näher einzugehen. Aber wie althergebracht

und eingefressen er ist, geht daraus hervor, daß zum Beispiel Maria Theresia mit den jüdischen Bürgern während der Audienz nur durch einen Wandschirm gesprochen hatte. Die Last dieser Einstellung wurde von meiner Generation gleichsam mit der Muttermilch eingesogen und fand, das muß leider gesagt werden, ihre dicken Unterstreichungen nicht nur von nationaler, sondern auch von Teilen der sogenannten christlichen Seite. Ja, selbst der Religionsunterricht hatte hier vereinzelt eine bestimmte Mitfunktion. Es war jenen Katecheten wohl kaum bewußt, was sie anrichteten, wenn sie (in Abwesenheit der jüdischen Mitschüler!) von „den Juden“ sprachen, die „Jesus Christus ermordet“ hatten und die schwätzende Klasse etwa mit dem Aufruf zurechtwiesen: „Da geht's ja zu wie in einer Judenschul'.“

Als Jugendlichen beherrschte mich jedenfalls der sicher nicht selbsterzeugte Eindruck, es gebe für „uns Christen“ eigentlich nur einen Feind: das gemeinsame Lager von Juden und „Roten“, gegen das es sich um jeden Preis zu verteidigen gelte. Welcher Art und' Tiefe mein „Christentum“ noch in den ersten vier Klassen der Mittelschule war, geht daraus hervor, daß ich wenig später, eines Sinnes mit vielen Mitschülern, meinen glaubenslosen und antisemitischen Nationalismus als ehrlichere und konsequentere, von unnötigem Zierat befreite Ausprägung derselben Einstellung empfand, und zwar eigentlich bruchlos — es sei denn, man berücksichtigt einen gewissen, nicht zu großen und nicht offen gezeigten Kummer über Vorhaltungen der ebenso legitimi-stisch fühlenden, wie kindhaft gläubigen Mutter.

(Wird fortgesetzt)

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