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Ein Lebensbericht

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Wer den Dichter und den Menschen Hans Carossa schätzt, wird mit Spannung und nicht ohne Sorge dieses neue Buch in die Hand nehmen. .Lebensbericht“ lautet der Untertitel, Also eine Fortsetzung von .Führung und Geleit“, das einen Ehrenplatz in manchem Bücherschrank einnimmt. Was hat uns Carossa zu sagen? Es wäre ihm ein leichtes gewesen, seinen früheren Büchern ein neues anzufügen: mit liebevollen Schilderungen von Blumen, Gras und Kräutern, mit interessanten Begegnungen, Aufzeichnungen von Träumen und Krankengeschichten. Aber ein solches Buch hätten wir stillschweigend und enttäuscht zu den übrigen gestellt. Die Versuchung mag groß gewesen sein, seinen Beitrag zur jüngsten Vergangenheit in der unverbindlich - distanzierenden Form der Erzählung „Ein Tag im Spätsommer 1947“ zu leisten, die den inhaltsreichen und bewegenden Band beschließt und versöhnlich ausklingen läßt. „Dann aber kam immer wieder eine Stunde“, schreibt Carossa, „wo ich einsah, wie sehr es meine besten Freunde befremden müßte, wenn ein Autor, der 60 gern von seiner inneren und äußeren Entwicklung Rechenschaft ablegt, gerade über diese tiefbewegten Jahre hinwegginge.“ Und Carossa hat 6ich diese Rechenschaft nicht leicht gemacht. Er war, wie unzählige andere, von der Propagandamaschine des autoritären Staates erfaßt worden und sollte dessen Zwecken dienstbar gemacht werden: als Präsident einer europäischen Schriftstellervereinigung, ate Vortragender vor der Hitlerjugend und als Gratulant zu Führers Geburtstag. All das wird nicht verschwiegen und nicht beschönigt. Dafür sind wir dem Dichter aufrichtig dankbar. Nicht für das Einbekenntnis, denn wer von uns wäre befugt, es zu verlangen und dürfte richten? Aber daß einer von den prominenten deutschen Geistigen die Einsicht und das Verantwortungsgefühl hat, einen Fehler einen Fehler und Schuld Schuld zu nennen, das Versagen da und dort nicht den äußeren Verhältnissen anzulasten oder andere Zeitgenossen vorzuschieben, die e6 noch ärger getrieben haben: dies hat man kaum mehr zu hoffen gewagt. (Gottfried Benns „Doppelleben“ klingt bereits im Titel beziehungsvoll an Carossa an und ist ein ähnliches Dokument.)

So bekommt alles, was Carossa über die Vorgeschichte und die Zeit des Nationalsozialismus In Deutschland sagt, doppeltes Gewicht. Wer davon weiß, wie unpopulär es — heute schon wieder — ist, gewisse Dinge zu schreiben, an die die meisten nicht erinnert werden wollen, wird den persönlichen Mut des Dichters bewundern. In diesem Lebensbericht werden fast alle heißen Eisen angerührt. Kaum hat Carossa eines aus der Hand gelegt, greift er bereits nach dem nächsten: das verkehrte und schiefe Verhältnis zu den Nachbarvölkern, die Vernichtung „unwerten Lebens“, die Judenfrage, Deutschland-Österreich, wenn wir den Krieg gewonnen

hätten, Thomas Mann und die Deutschen und vieles andere... Man müßte Seiten über Seiten zitieren, um nur das Wichtigste, Bedenkenswerteste und Trefflichste anzudeuten, von dem dieser Lebensbericht bis zum Rande erfüllt ist. Es i6t an dem, das wir in Carossa nicht nur einen zuverlässigen Diagnostiker und Arzt des einzelnen Menschen, sondern seines gesamten Volkes ansehen dürfen. Da er sich diese Rolle nicht angemaßt hat, sondern da sie ihm kraft seines guten, ehrlichen

Willens und kraft seines überzeugenden Wortes zugefallen ist, wünscht man dieses Buch in die Hände vieler, vor allem auch vieler Emigranten, vor allem aber in die Hände jener, die immer noch der Zeit der großen Worte und der bösen Taten nachtrauern. Prof. Dr, H. A. F i e c h t n e r

Begegnungen. Die Großen der Welt Im Zwiegespräch. Essays. Von Ernst Feder. Bechtle-Verlag, Eßlingen. 220 Seiten.

Diese historischen Skizzen schrieb Ernst Feder in der Emigration, die er als Weggefährte und Nachbar Stefan Zweigs in Brasilien zubrachte. In diesen Skizzen ist jeweils die Begegnung zweier bedeutender oder namhafter Menschen der neueren Geschichte kurz umrissen, deren Zusammentreffen mit gutem Grund als beispielhaft hingestellt und auch so angesehen werden darf.

In diesem Büchlein wird Stärke des Charakters immer wieder gepriesen und die hohe Forderung nach Menschlichkeit immer wieder erhoben. Trotzdem: diese Skizzen sind mehr Anregung als Erfüllung. Sie sind das schöne Bekenntnis eines Schriftstellers, eines sehr gebildeten und belesenen Schriftstellers, aber im Grunde genommen nicht das, was man eine künstlerische Manifestation zu nennen pflegt. Die künstlerische Gestaltung des Stoffes bleibt gewissermaßen dem Leser überlassen. Wir blättern in der Arbeitsmappe eines Schriftstellers, und wer zu den gegebenen Gestalten und Situationen nur in mangelhafter oder vielleicht gar keiner Beziehung steht, wird über die Tatsache, sich der Lektüre eines durchschnittlichen Lesestoffes hingegeben zu haben, kaum hinwegkommen. Sind jedoch die Voraussetzungen einer gewissenhaften und interessierten Bildung gegeben, so wird man in diesen „Begegnungen“ vieles finden, an dem man sich still und ruhig freut. Bedauerlicherweise nur ein „lapsus“, der dem Autor am Ende der „Erasmus'-Erzählung unterläuft.

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