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Eine menschliche Tragödie

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HIER BIN ICH. MEIN VATER. Roman von Friedrich Torberg. Verlag Albert Langen-Georg Müller, München-Wien. 338 Seiten. Preis 18.50 DM

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HIER BIN ICH. MEIN VATER. Roman von Friedrich Torberg. Verlag Albert Langen-Georg Müller, München-Wien. 338 Seiten. Preis 18.50 DM

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Den Hintergrund des Romans bildet die politische Szene des Anschlusses. Tatsächlich aber handelt es sich um mehr als ein in der Form des Romans dargebotenes Stück österreichischer Geschichte. Es geht um die in sprachlicher Vollendung und in der Härte mitleidloser, geradezu medizinischer Analyse menschlichen Verhaltens ausgeformte Tragödie eines Menschen, der, durch Eigenbestimmung wie durch die Politik aus der Gesellschaft verwiesen, nur noch durch die Fixierung auf einen fernen Vater einen letzten Standort zu halten vermag.

Das Thema: Der Jude Otto Maier, an sich haltlos, Bohemien, in seinem Ich-Bezug aller Umwelt gegenüber völlig apathisch, Barmusiker, wird, um seinen Lebensstil vor sich zu rechtfertigen, durch den Anschluß Österreichs an Hitler-Deutschland zur Un-Person. Die vorhanden gewesene Distanz zum Vater verringert sich einfach infolge des politischen Sachverhaltes. Obwohl kaum echter Gefühle fähig, fixiert Maier sich gleichsam mit dem Rest der Gefühle auf seinen Vater. Besonders als dieser nach Dachau kommt. Und nun beginnt die Tragödie. Um den Vater freizubekommen, erklärt sich Maier bereit, Spitzeldienste für die Gestapo zu leisten, also ein „jüdischer Nazispitzel“ zu werden. Wie im „Schüler Gerber“ (dem großen Erstlingswerk des Autors) realisiert sich nun die Tragödie in Programmschritten. Von der Gestapo verachtet, von den Juden, gemieden, von .den-Franzosen, an die er die kümmerlichen Geheimnisse, deren er habhaft werden konnte, verraten will, nicht ernst genommen, „absolviert“ Maier, indem er sich schließlich dem Strick „anvertraut“.

Dieser „Jude Maier“, aus Veranlagung keiner tiefen Liebe und auch keines tiefen Hasses fähig, vermag in keiner seiner Aktionen auch nur unser Mitleid zu gewinnen. Märtyrer nur aus Zufall und nicht aus Bekenntnis (wie die Mehrheit der Juden), perfekt gesinnungslos, lediglich gewillt zu überleben, wird Maier in der letzten Runde seines Lebens noch durch eine Vaterliebe angetrieben, die von außen provoziert wurde und kaum in die Tiefe geht. Darin liegt die Tragödie: Daß auch der Leser schließlich mitleidlos wird und keinen Anteil am Schicksal dieser menschlich völlig denaturierten Gestalt zu gewinnen vermag.

Die Schilderung der Umwelt von 1938/39 ist dem Verfasser in einer hervorragenden Weise gelungen. Die Tatsache, daß das Werk erst 14 Jahre nach seinem Erscheinen in Österreich publiziert wird, hat dazu geführt, daß das Menschliche im Buch mehr als das Politische sichtbar wird. Das war gut so. Den Intentionen nach handelt es sich offenkundig um eine menschliche, nicht um eine politische Tragödie.

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