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Intellektuelles How-to gleich für das ganze nächste Jahrtausend

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Angesichts der unaufhaltsam heranrückenden Jahrtausendwende fühlen sich mehr und mehr Denker veranlaßt, das allerletzte, das für das nächste Jahrtausend entscheidende geniale Gedankengebäude hinzuschreiben, schnell, auf daß ihnen ja niemand zuvorkomme. Der amerikanische Ex-Ungar Mihaly Csikszentmihalyi, Professor für Psychologie an der Universität Chikago, ist einer von diesen Denkern des fin-de-millenaire. „Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben” nannte er sein Werk, das uns allen zeigen soll, wie wir ein ideales Jahrtausend gestalten können. Und das Werkzeug, das er in unsere Hände legt, ist, laut Untertitel, nicht weniger als „eine Psychologie für das 3. Jahrtausend”.

Der Autor erklärt in der ersten Hälfte des Ruches ausführlich die Evolution der Menschheit bis hin zur ein wenig schwierigen Situation, in der wir leben, wobei er an sich nicht viel Neues sagt. Interessant fand ich aber doch seine Anwendung der in den letzten Jahren viel diskutierten Eigenschaft bestimmter unbelebter Materie, sich ähnlich Lebewesen zu reproduzieren, auf die Memen. „Der Regriff Meme wurde vor etwa 20 Jahren von dem britischen Riologen Richard Dawkins eingeführt, der ihn verwendete, um eine kulturelle Informationseinheit zu beschreiben, die ähnliche Auswirkungen auf die Gesellschaft hat wie die chemisch codierten Instruktionen der Gene auf den Organismus”, sagt unser Autor, und es sei „nicht leicht zu erkennen, wann wir der schwindelerregenden Reproduktion von Memen dienen und wann wir zu unserem eigenen Besten handeln.” Wir sollten hier für einen kurzen Moment der Besonnenheit innehalten, ohne einen weiteren Schritt zu unternehmen, und werden damit „schon ein Stückchen Freiheit für unser Leben gewonnen haben und besser auf das dritte Jahrtausend vorbereitet sein.”

Im zweiten Teil kommt die eigentliche Botschaft. Sie liegt im Flow. Flow ist die tiefere Erkenntnis des Professors. Bisher sagte man im deutschen Sprachbereich Erfolgserlebnis zu der psychischen Sensation, die man erlebt, wenn man ein materielles oder geistiges Problem erfolgreich gelöst hat. Zwar nach dem Grundprinzip Dale Carnegies, aber intellektuell doch sehr verfeinert, zeigt Csikszentmihalyi an vielen Beispielen, wie die Entwicklung des individuellen Flows die Gesellschaft besser machen wird, und zwar nach dem Prinzip der Memen, die, einmal in die Welt gesetzt, sich in ihr dann weiter vermehren wie Viren und Bakterien.

Bei genügender Vermehrung dieser positiven Memen wird dann der nächste Schritt zur logischen Folge: die Vereinigung der auf ihre Umwelt positiv reagierenden und denkenden Memenvervielfacher zu kleinen unabhängigen Gruppierungen. Zukunftszellen nennt sie der Professor, nicht etwa, wie das bei uns so Sitte ist, Bürgerinitiativen. Und damit sind wir, letztendlich, beim unfehlbaren Bezept, die Menschheit auf den Weg der positiven Evolution zu bringen.

Tschick Sent Mihaji (laut Aussprachevorschrift des Verlags) wird nicht der letzte Verkünder einer umwerfenden Heilsbotschaft für das dritte Jahrtausend sein. Falls er jetzt Erfolg hat, dann wohl vor allem, weil die große Welle der Propheten noch nicht eingesetzt hat. Derzeit genügt es für einen angehenden Propheten anscheinend, sich weltweit umzusehen und aus dem bric ä brac, das sich da aufstöbern läßt, eine bei aller Harmlosigkeit halbwegs kohärente Heilslehre zu formulieren. Doch in den nächsten Jahren, wenn die weltbewegenden Propheten im Wochenrhythmus daherkommen werden, dürfte es kaum mehr so leicht sein, einen Verlag wie Klett-Cotta für ein solches Werk zu interessieren.

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