6730189-1965_47_14.jpg
Digital In Arbeit

Zerstörung aus Gleichgültigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Aber eben diese Überzeugung fehlt bei vielen von denen, auf die es am meisten ankommt Im tiefsten Grunde ihres Herzens sind allzu viele der Verantwortlichen davon gar nicht überzeugt. Sie wagen das nur nicht offen auszusprechen, um nicht als Banausen oder Barbaren dazustehen, und ziehen sich mit einem Lippenbekenntnis aus der Affäre. Gerade dadurch aber zeigen sie sich als rückständig. „Ist es nicht auffallend, sagt Adolf Loos, „daß gerade die kühnsten Neuerer, also die tüchtigsten Menschen, auch die tiefste Verehrung für die Werke ihrer Vorfahren bekunden?

So wie in der Gleichgültigkeit, aus der die Zerstörung kommt, verschiedene Motive zusammenwirken, so wirken auch in der Überzeugung, daß jenes Salzburg, welches die ganze Welt bewundert, erhalten werden muß, verschiedene Motive zusammen.

Da ist, zunächst aber nicht an erster Stelle, das materielle Motiv, das man nicht zu verachten braucht, und das sich so formulieren ließe: „Erhaltet das alte Salzburg, und der Fremdenverkehr, um den ihr euch so sehr bemüht, wird euch hinzugegeben werden.

Da ist ein anderes, sehr rationelles Motiv, dessen Bedeutung man erst seit kurzem einzusehen beginnt: daß es nämlich für das Leben einer Stadt gut ist, wenn sie aus Quartieren verschiedenen Alters und verschiedenen Charakters besteht. Städte mit Kultur haben diese natürliche Vielfalt und bewahren sie. Uniforme Städte sind öde, kulturlos und lebenertötend und würden es auch dann sein, wenn man einem Teil der uniformen Neubauten barocke Masken vorhängt.

Als Hauptmotiv für die Erhaltung der alten Kunstdenkmäler wird oft,“, allzuoft, die Pietät genannt Gewiß ist Pietät ein großes Motiv. Denn es handelt sich dabei um etwas, was unvergleichlich wichtiger ist als das Interesse der Gelehrten und Kunstliebhaber und das „für alle Menschen eine Bedeutung hat, ob sie nun gelehrt und kunstverständig sind oder nicht (Dvorak, 21). „Was überall geweckt werden kann, was sich jedermann ohne besondere Studien und Spezialkenntnisse aneignen kann, wenn er nur guten Willen hat ist Pietät für alles historisch Gewordene. Das ist nicht nur eine Frage der Kenntnisse, oder besser gesagt fast gar nicht, sondern eine Frage der allgemeinen Bildung des Geistes und des Charakters. Menschen, die Andenken an ihre Eltern und Voreltern, mögen sie kostbar oder bescheiden sein, mit den Füßen treten und auf den Kehrichthaufen werfen, sind roh und gefühllos, zugleich aber Feinde der Familie, weil sie sinnfällige Zeugnisse von Empfindungen vernichten, auf denen all das beruht, was im Rahmen des Familienlebens dem menschlichen Dasein einen höheren seelischen Inhalt verleiht. — Nicht anders aber ist es mit allem, was in den großen religiösen, staatlichen oder nationalen Gemeinschaften, in der Kirche und in einer Stadt, in einem Lande und in einem Reich geeignet ist, die Erinnerung an die historische Vergangenheit und Zusammengehörigkeit zu erhalten und wachzurufen (Dvofäk. 19).

Und doch gibt es ein Motiv, das noch unmittelbarer ist als das der Pietät. Aus Pietät erhält man oft auch Dinge, die keineswegs Kunstwerke und alles andere als schön sind. Den häßlichen Schreibtisch, an dem mein Vater oder Großvater gearbeitet hat, behalte ich aus Pietät, obwohl ich vielleicht die Mittel hätte, einen neueren und sogar schöneren anzuschaffen. Man bewahrt aus Pietät ein schwaches, künstlerisch minderwertiges Porträt eines Vorfahren, weil die Erinnerung, die es festhält, unersetzlich ist. So schützt man nicht nur Kunstwerke, sondern auch Denkmäler, mit denen sich unersetzliche historische Erinnerungen einer Stadt verbinden. Es wäre indes ganz falsch zu sagen, daß man die Altstadt von Salzburg nur aus Pietät erhalten müsse.

Der wahre Grund dafür, daß dieses Stadtbild erhalten werden muß und nicht sorgfältig genug gepflegt werden kann, ist ein ganz anderer. Es ist seine unvergleichliche Schönheit. An dieser Schönheit hat auch noch das bescheidenste Haus Anteil, und deshalb ist es ebenso liebevoll zu beschützen wie die großen Meisterwerke der Kunst, die heute kaum mehr jemand anzutasten wagen wird. Diese Schönheit ist eine objektive Tatsache, außer jeder Frage, es kann gar keinen Streit darüber geben. Für Millionen Menschen in allen Ländern dieser Erde ist es gewiß, daß dieses alte Salzburg zu den schönsten Städten der ganzen Welt gehört, und jeder Bewohner dieser Stadt, und erst recht jeder, der für ihr Schicksal mit verantwortlich ist, müßte von der gleichen Überzeugung durchdrungen sein und müßte zeigen, daß er bereit ist, diese Schönheit zu verteidigen.

Die Schönheit Salzburgs ist über die Jahrhunderte hinweg mit dem Leben der Stadt verbunden geblieben. Daß Salzburg im 19. Jahrhundert arm gewesen ist, hat ihm die sinnlosen Demolierungen, die andere schöne Städte über sich ergehen lassen mußten, erspart, zwar nicht ganz, aber doch mehr als anderswo. Ohne dieses Leben wäre die Altstadt nur etwas wie ein ideal konserviertes barockes Pompeji, ein architektonisches Museum der Vergangenheit. Die Getreidegasse, das Schatzdurchhaus ohne die Menschen, die hier wohnen und arbeiten, kommen und gehen, verkaufen und kaufen, wäre tot. Dieselben Geschäfte in modernen Allerwelts-häusern wären uninteressant.

Glaubt man noch mehr Leben, noch besseres Leben in die Altstadt bringen zu können, desto besser. Nur darf es niemals und nirgendwo auf Kosten der alten Schönheit geschehen.

Diese Verbindung von Schönheit und Leben ist nur deshalb möglich, weil die alte Schönheit etwas ebenso Lebendiges und ebenso Gegenwärtiges ist wie das gegenwärtige Leben, welches darin haust.

Es geht eben gar nicht um die Konservierung von etwas Vergangenem, sondern um die Bewahrung von etwas unmittelbar Gegenwärtigem. Nicht das Vergangene der Vergangenheit soll und muß, solange das nur möglich ist, erhalten bleiben, sondern das Unvergängliche, das in der Vergangenheit erschienen ist und sie überlebt. Jede wahre Schönheit, auch die bescheidenste, ja auch noch ihr bescheidenster Reflex hat dieses Moment des Unvergänglichen an sich. Sie gehört keiner Zeit und jeder Zeit an und deshalb beglückt sie und befördert das „gute Leben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung