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Gegen die Mittelmäßigkeit!

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Es gibt Menschen, deren Unglück darin besteht, die Sonne nicht sehen zu können, doch auch sie fühlen ihre Wärme. So gibt es auch Menschen, die die Schönheit nicht wahrnehmen können, und doch würden diese Unglücklichen ihre wohltätigen Wirkungen vermissen, wenn alle Schönheit aus der Welt verschwinden würde. Wer gezwungen ist in einer häßlichen Stadt, in einem häßlichen Stadtteil zu leben, dessen Leben wird gedrückt, dessen Menschlichkeit wird vermindert, auch wenn er es nicht merkt oder es nicht wahrhaben will. Und würden denn ungezählte Millionen von Menschen aller Stände zu den Schönheiten des alten Europa wallfahren, wenn in ihnen nicht eine Sehnsucht nach der Schönheit lebendig wäre, wenn auch oft nur dumpf und dunkel bewußt?

Noch eines: Wenn man wirklich glaubt, eine noch schönere Stadt schaffen zu können, dann baue man sie neben die alte Stadt, ohne diese zu beschädigen. Bis jetzt jedenfalls kommt wohl kein Mensch nach Salzburg, um sich an der „Schönheit seiner neuen Vororte zu erfreuen. Doch warum sollte sich das nicht ändern? Warum sollte nicht neben dem alten Salzburg ein neues entstehen, ebenso schön, ebenso vornehm, ebenso originell, ganz und gar in den Formen unserer Zeit, aber wirklich in denen von 1960 bis 1970 und nicht in denen von 1920 bis 1930, das Beste zusammenfassend, was diese Zeit zu bieten hat, und in die Zukunft weisend. So daß dann zu diesem Neu-Salzburg die Welt wie zu dem alten pilgern und dazu sagen könnte: Hier, und hier allein auf der Welt, sieht man die wahre Moderne in ihren besten, menschlichsten Möglichkeiten.

Gerade weil wir von der Schönheit und Unberührbarkeit des alten Salzburg tief durchdrungen sind, sind wir für das gute Neue. Wir sind gegen die Entstellung und schleichende Zerstörung des schönen Alten und gegen die Minderwertigkeit und Häßlichkeit des schlechten Neuen, weil beide aus dem gleichen Geist kommen: dem der schönheitsfeindlichen Mittelmäßigkeit.

Daß die richtige Pflege und Erhaltung des schönen Alten Geld kostet, sehr viel Geld, ist gewiß. Aber hat man denn nicht mit Freuden 250 Millionen Schilling ausgegeben, um den Künsten der Musik und des Theaters hier ein Haus zu bauen? Auch dabei geht es darum, Werke der vergangenen Kunst für die Gegenwart zu bewahren, sie lebendig zu erhalten. Müßte man für das Gesamtkunstwerk Salzburg nicht viel mehr tun?

Die Mittel und Wege zu zeigen, wie die erforderlichen Summen für die behutsamste „Sanierung der Altstadt und für ihre dauernde Pflege aufgebracht werden können, ist nicht meine Sache; hierin bin ich nicht Fachmann. Je behutsamer die Sanierung sein wird, um so teurer wird sie sein; auch das ist von vornherein klar. Klar ist aber auch, daß man ja die vier- oder fünfhundert alten Häuser keinesfalls verfallen lassen könnte und sie jedenfalls durch Neubauten ersetzen müßte. Daß also nur der Unterschied zwischen dem gewiß billigeren Neubau und der „restaurativen Sanierung des gleichen Hauses aufgebracht werden muß, wenn man die Schönheit des alten Salzb'trg retten wilL Dieser Unterschied dürfte — wenn man die in Regensburg gemachten Erfahrungen zugrunde legt — nur 20 bis 25 Prozent der Gesamtkosten ausmachen.

Um die von der Überflutung durch den Stau des Nils bei Assuan bedrohten altägyptischen Tempel zu retten, das heißt, sie Stein für Stein abzutragen und anderswo wiederaufzubauen — und es sind nicht einmal die schönsten —, hat man auf der ganzen Welt Beträge gesammelt, die in die vielen Millionen Dollar gehen. Sollte die Welt nicht bereit sein, noch viel mehr für die Rettung des alten Salzburg auszugeben, wenn sie nur wüßte, daß es ernstlich von einem schleichenden Untergang bedroht i^t, der wie eine unheilbare Krankheit weiterfrißt, und daß für deren Heilung Österreich allein die Mittel nicht aufbringen kann?

Wer wird Salzburg vor der verzögerten Zerstörung von heute retten?

Zu dem Notmittel der Stilimitationen — die man zu Unrecht Kopien nennt, denn Kopien müssen getreu sein (Adolf Loos!) — hat man beim Wiederaufbau der unzähligen zerbombten Städte in Deutschland und anderswo oft gegriffen, so auch in Salzburg. Wie man an vielen Beispielen sehen kann, verbinden sie sich mit den unberührten alten Bauten immer noch besser als die meisten Neubauten in verschiedenen sogenannten modernen Formen. Wo das Unglück der Bomben geschehen ist, kommt man um solchen „Ersatz manchmal schwer herum, der sich aber meist schon durch die leblose Starre seiner Flächen und die verfehlten Proportionen auf den ersten Blick als Stilkonfektion, als Machwerk zu erkennen gibt. Zu glauben, daß außer ein paar Kunsthistorikern den Unterschied „eh keiner merken wird, ist eine weitere Illusion: die kultivierten Fremden aller Stände und Länder, die Salzburg kennen und lieben — natürlich nicht jenes Reisepublikum, das blind durch alle Schönheiten zieht —, können ein schönes altes Haus von seiner Stil-Travestie ebensogut unterscheiden wie sie die gute Aufführung einer Oper im Festspielhaus von einer schwachen unterscheiden können.

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