Täglich alles gratis: Im Sog der Umsonst-Medien

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Die Media-Analyse 2010 kostet 2,3 Millionen Euro. Österreichs teuerste Marktforschung sieht mehr denn je ausgerechnet Gratis-Produkte auf dem Vormarsch. Und alle machen mit.

Wenn der Blätterwald sich just am 1. April an der eigenen (Ohn-)Macht berauscht, ignoriert er die doppelt fragwürdige Symbolik des Datums: Schon der Start der Privatradios vor 13 Jahren entpuppte sich als schlechter Scherz. In der scheinbaren Vielfalt eines liberalisierten Hörfunks hat der ORF heute statt des Staatsmonopols 76 Prozent Marktanteil, und der einzige bundesweit wettbewerbsfähige Konkurrent heißt KroneHit. Während Politik und Medien verzweifelt junge Zielgruppen umgarnen, hört jeder fünfte Jugendliche täglich den Haussender von Österreichs größter Tageszeitung mit dem durchschnittlich ältesten Publikum.

Die Media-Analyse (MA) 2010 bescheinigt der Kronen Zeitung die seit 1983 schlechtesten Daten für das Todesjahr ihres Neugründers Hans Dichand. Erstmals seit 1993 erreicht sie keine 40 Prozent der Österreicher. 2005 attestierte ihr die MA noch täglich 3,07 Millionen Leser, nun 310.000 weniger. Doch allein diese Differenz ist mehr als das Gesamtpublikum von Presse oder Salzburger Nachrichten.

Schadenfreude der Konkurrenz über den Rückgang des weltgrößten Kleinformats wirkt verfrüht, weil es weiterhin jeden Sonntag 3,38 Millionen Menschen erreicht. Seine Perspektiven liegen zudem in Querverbindungen. Ganz offiziellen wie zum stärksten Privatradio und angeblich nur privaten wie zu Heute, dessen Leserschichtung unter Herausgeberin Eva Dichand komplementär zur Krone unter Chefredakteur Christoph Dichand gerät. Erstmals von der Media-Analyse fürs ganze Bundesgebiet ausgewiesen, rangiert das nur in Ostösterreich vertriebene Gratisblatt bereits ex aequo auf Platz zwei im Kontakt-Ranking der Tagesgazetten.

Unterschätzte Ländergrößen

Doch die zwölf Prozent, die ihm wie der Kleinen Zeitung als nationale Reichweite zugestanden werden, sind nichtssagend im Vergleich zur regionalen und Generationsstärke. Während rund die Hälfte aller Steirer und Kärntner täglich das größte Bundesländerblatt liest, greift nahezu jeder zweite Wiener unter 30 zu Heute. In dieser Dichand-Zwickmühle wirkt die Nummer vier verloren. Österreich werden zwar 680.000 Leser (9,6 Prozent) bescheinigt, doch weil weder das Krone-Imperium noch die Bundesländerblätter es in ihre Vertriebe aufnehmen, bleibt der zunehmend preislose Zwitter aus Kauf- und Gratisblatt bloß in der Hauptstadtregion ein Massenphänomen. Auf eine solche Regionalgröße ist der Fünfte längst reduziert: Der Kurier, einst größte Zeitung im Staat, kommt nur noch in Wien, Niederösterreich, Burgenland über fünf Prozent.

Dass vor allem die SPÖ-Regierungsinserenten kaum über Krone, Heute und Österreich hinaus blicken, erscheint dennoch kurzsichtig. Anhänger von Standard und Presse lassen sich zwar nicht addieren, weil einige - aber viel weniger als vermutbar - beides konsumieren, doch zusammengezählt hätten beide Blätter fast die Reichweite von Österreich und vor allem andere Leser. Ähnliches gilt für TT, Kleine, OÖN, SN und VN, die in sechs Bundesländern täglich 1,9 Millionen Menschen ansprechen. Aber nicht nur das. Die dahinter stehenden Verlagshäuser sind durchwegs auch im Gratis-Sektor engagiert. Er wird von der MA erstmals für 2010 erfasst: Der Wochenzeitungsring von Styria und Moser Holding kommt auf die Höchstreichweite dieser Media-Analyse: Sie attestiert Bezirksblättern & Co. knapp 3,8 Millionen Leser - mehr als der Krone. Die Kleinformate für den Briefkasten bieten eine gemeinsame Österreich-Seite samt eigener Chefredakteurin.

Unterdessen ortet die MA 2010 bei den Magazinen gar die neue Nummer eins in der Gratis-Unkultur. Das preisfreie Weekend ist demnach der einzige Leser-Millionär (abgesehen von der ÖAMTC-Postille Auto Touring). TV-Media (967.000) und Die Ganze Woche (934.000) folgen auf Tuchfühlung, News (730.000) mit Respektabstand.

Papiertiger im Blätterwald

Das Feld ordnet sich neu. Dabei macht die MA die Rechnung zwar nicht ohne den Wirt, doch sie unterbelichtet seine Abwanderung zum stärksten Treiber des Gratis-Phänomens. Jeder zweite Österreicher ist täglich im Internet, wo der Standard so viel Publikum erreicht wie jene Krone, die zehnmal mehr Auflage hat. Bei den 14- bis 19-Jährigen hat es nach Fernsehen (2006) und Zeitungen (2007) auch das Radio in der Tagesreichweite überholt.

2,4 Millionen Österreicher sind laut Social Media Radar im Facebook. Daneben wirkt nicht nur manch Traditionsblatt wie der aussterbende Papiertiger im Blätterwald. Die seit 1965 bestehende Media-Analyse harrt ihrer Ablöse. Sie teilt das Schicksal anderer gemeinsamer Währungen. Jeder kennt ihre Schwächen, kaum jemand stellt sie infrage. Denn zu mühsam erscheint ein neuer Konsens. Seit vier Jahren bereits verhandeln Medien, Werbeagenturen und Marktforschungsinstitute über einen zeitgemäßen Nachfolger. Weder umsonst noch gratis erhoffen die Proponenten des künftigen Media Server dessen erste Daten fürs Wahljahr 2013.

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