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Die Paradiese des Kolumbus

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Nicht zu verwechseln mit Claudels Schauspiel „Das Buch von Christoph Kolumbus“, das vor mehr als zehn Jahren mit viel Musik von Darius Milhaudim Burgtheater gegeben wurde, ist die Oper „Christophe Colomb“ von Darius Milhaud, deren Neufassung anläßlich der Grazer Sommerspiele nunmehr im Opernhaus der steirischen Landeshauptstadt ihre Uraufführung erlebte. Die Ära des Intendanten Haberland, die jetzt zu Ende geht, wird gewiß nicht als eine der bedeutendsten in die Geschichte der Grazer Bühnen eingehen. Um so unerwarteter kam die außerordentliche Schlußanstrengung des gesamten Apparates der Vereinigten Bühnen, die für einen Abend lang Graz zu einem markanten Punkt der internationalen Opernwelt werden ließ. Das ungewöhnlich schwierige Werk war 1930 in Berlin zum erstenmal gegeben worden. Der Komponist hatte sich 1956 zu einer Neufassung entschlossen, die aber zwölf Jahre bis zu ihrer Uraufführung warten mußte. Das Kennzeichen dieses Gesamtkunstwerks, das wie ein großes Oratorium mit zahlreichen szenischen Illustrationen, mit eingeschobenen Kurzopern wirkt, ist seine Vielschichtigkeit. Kolumbus, der für Claudels Namenssymbolik Christus- träger und Geist-Bringer ist, steht mit seiner Entdeckung als Vorbote eines weltumspannenden spirituellen Gottesreiches.

Irdisches und Metaphysisches überlagern einander, die zeitliche Kontinuität erscheint aufgehoben, Realität und Mythos greifen ineinander über. Der Mehrschichtigkeit des Textes entspricht die elastische Variabilität der Tonsprache Milhauds. Die Musik springt von einfachsten Formen über zu kompliziertesten, mischt Gregorianik mit Gassenhauer und Folklore, kann dramatisch packend und ätherisch-transparent sein. Oder sie schichtet verschiedene Tonarten übereinander zum polytonalen Gemenge.

Die Neufassung der Oper besteht darin, daß ihre beiden Teile ganz einfach umgekehrt wurden. Milhaud hatte sich zu dieser Änderung entschlossen, weil er den Eindruck hatte, daß das Interesse des Publikums im zweiten, weniger dramatischen Teil nachließ. Claudel war mit der Lösung einverstanden: „Ich habe Ihnen ,Christophe Colomb gegeben“, sagte er zu Milhaud, „Sie dürfen damit tun, was Sie wollen.“ In der neuen Fassung beginnt die Oper also nach der Entdeckung Amerikas, zeigt deren Folgen, Rückkehr, Gefangennahme und Tod des Kolumbus. Am Ende des ersten Teils steht jetzt die Entdeckung des Paradieses — eine silberne Rauhreiflandschaft, Abbild des reinen geistigen Lichts, die den Grazer Bühnenbildner Wolfram Ska- licki zu einer besonders herrlichen Lösung inspiriert hatte. Der nunmehrige zweite Teil bringt dagegen die Vorgeschichte und die Ausfahrt des jungen Kolumbus, so daß das Werk mit der Entdeckung Westindiens endet.

Die Grazer Aufführung zeigt, daß diese Umstellung unnötig war; aber sie verschlechtert nichts dadurch, daß sie die Folgen vor die Ursachen und die Rückkehr vor die Ausfahrt setzt. Sie kompliziert vielleicht die Mitarbeit des Zusehers, hält aber dessen Interesse tatsächlich bis zum Schluß wach. Darius Milhaud, der nicht nur der Aufführung, sondern auch den letzten Proben beiwohnte, wurden nach der Vorstellung vom Publikum und den Mitwirkenden begeisterte Ovationen dargebracht. Es hieß, daß der Komponist mit der Grazer Realisierung mehr als zufrieden war. In der Tat hatte die Grazer Oper für die Wiedergabe dieses Gesamtkunstwerkes einen Gesamteinsatz aller verfügbaren Kräfte zustandegebracht. Adolf Rott, der Claudels Schauspiel seinerzeit am Burgtheater inszeniert hatte, führte Regie, und Wolfram Skalicki stattete die Aufführung mit Hilfe von farbigen und Schwarzweißprojektionen stilistisch ebenfalls vielschichtig zu ungeheuer reichen Visionen im Sinne eines geradezu kosmisch gesehenen Welttheaters aus. (Die Inszenierung soll heuer noch in San Francisco gezeigt wenden.) Erstaunlich war auch die Dirigierleistung Berislav Klobufars, der den Riesenapparat der Chöre, des Orchesters und der fast sechzig Solisten souverän zusammenbielt. Imponierend sang der Gast Wassilis Janulakos den Kolumbus, ihm ebenbürtig zeigte sich die Darstellerin der Isabella, Althea Bridges.

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