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Der Hauptmann von Köpenick als Ballettoper

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Wenn man das Stichwort „Hauptmann von Köpenick“ hört oder liest, denkt man natürlich zuerst an das Zuckmayersehe Erfolgsstück, 1931 in Berlin uraufgeführt: mit seinen 21 Szenen einer Bilderfolge unter dem Motto „Ein deutsches Märchen“, nämlich aus der Zeit Wilhelms II. Aber mit ihm hat das Libretto, das Heinz von Cramer für den Komponisten Boris Blacher schrieb, nur die Fabel gemeinsam, eine Zeitungsnotiz vom 17. Oktober 1906 mit folgendem Wortlaut: „Ein als Hauptmann verkleideter Mensch führte gestern eine von Tegel kommende Abteilung Soldaten nach dem Köpenicker Rathaus, ließ den Bürgermeister verhaften, beraubte die Gemeindekasse und fuhr mit einer Droschke davon.“ (Kaiser Wilhelms Kommentar zu diesem Streich verdient, der Nachwelt überliefert zu werden. Er sagte nämlich lachend: „Da kann man sehen, was Disziplin heißt! Kein Volk der Erde macht uns das nach!“) Zur Premiere in der Volksoper:

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Wenn man das Stichwort „Hauptmann von Köpenick“ hört oder liest, denkt man natürlich zuerst an das Zuckmayersehe Erfolgsstück, 1931 in Berlin uraufgeführt: mit seinen 21 Szenen einer Bilderfolge unter dem Motto „Ein deutsches Märchen“, nämlich aus der Zeit Wilhelms II. Aber mit ihm hat das Libretto, das Heinz von Cramer für den Komponisten Boris Blacher schrieb, nur die Fabel gemeinsam, eine Zeitungsnotiz vom 17. Oktober 1906 mit folgendem Wortlaut: „Ein als Hauptmann verkleideter Mensch führte gestern eine von Tegel kommende Abteilung Soldaten nach dem Köpenicker Rathaus, ließ den Bürgermeister verhaften, beraubte die Gemeindekasse und fuhr mit einer Droschke davon.“ (Kaiser Wilhelms Kommentar zu diesem Streich verdient, der Nachwelt überliefert zu werden. Er sagte nämlich lachend: „Da kann man sehen, was Disziplin heißt! Kein Volk der Erde macht uns das nach!“) Zur Premiere in der Volksoper:

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Blacher wünschte eine Ballettoper zu schreiben, womit zugleich auch angedeutet ist, daß er das Thema distanzieren und ironisieren wollte. Und während Zuckmayers „Held“ eher eine tragische Figur ist, der zur ausgeliehenen Hauptmannsuniform wie nach einem rettenden Rockzipfel greift, ersteht sie der Protagonist des „Preußischen Märchens“ - dies der Blachersche Untertitel - mit Berechnung: zu seinem und seiner Familie Vorteil.

Blachers falscher Hauptmann heißt Wilhelm Fadenkreutz (dargestellt von Ernst Gutstein) und hat es auf des Bürgermeisters Töchterlein Adelaide (Regina Winkelmayer) abgesehen. Um seine Schwester Auguste (Sigrid Mar-tikke) bewirbt sich der Assessor Birkhahn (Heinz Zednik). Ein Groteskeffekt am Rande: Wilhelms Eltern sind ein ungleiches Paar: Vater Fadenkreutz wird von einer Sängerin (Moni-que Lobasa), seine Mutter von einem Sänger (Hans Kraemmer) dargestellt, was auf den Rollentausch in manchen - nicht nur kleinbürgerlichen - Ehen, hinweisen soll.

Die sechs Bilder hat Peter Heyduck milieugerecht ausgestattet. Uber drei Szenen schwebt, unmißverständliches Symbol, ein mächtiger Adler, darunter ein farbenprächtiges Kaiserbild: Wilhelm der Wortgewaltige mit emporgezwirbeltem Schnurrbart. Gleich in der 1. Szene die zwölf emsig federkratzenden Schreiber (die übrigens an die zwölf Schreibmaschinfräuleins in Hindemiths komischer Oper „Neues vom Tage“ erinnern) symbolisieren das beamtete Untertanenmilieu, das durch auf- und abmarschierende Soldaten noch verdeutlicht wird. Hiebei sowie in einer Wunschtraumvision und in einer Tanzszene im Gartensaal auf dem Concordia-Ball bot sich Gelegenheit, auch das Ballett einzusetzen. Aber der vielversprechende Untertitel des „Preußischen Märchens“, nämlich „Ballettoper“, erscheint mir dadurch noch nicht ganz gerechtfertigt.

Den musikalischen Stil des Werkes könnte man als Zwischending zwischen Oper und Operette, Opernparodie, Offenbachiade und Musical bezeichnen, und gerade in dieser Mischform erweist sich Blachers Meisterschaft und Souveränität. Der Komponist Blacher ist durchaus ein Originaltalent. Seine stets durchsichtige Instrumentierung, die äußerste Spar-' samkeit der eingesetzten Mittel verleihen seiner Musik den Charakter des zuweilen Skelettierten, Schlanken und Drahtigen. Eine Musik ohne harmonischen Schwulst, fettfrei und beweglich in allen Gelenken. Wollte man sie definieren, so könnte man sagen, daß sie im ganzen und im Detail der Ästhetik der französischen Gruppe der „Six“ (Honegger, Milhaud, Pau-lenc, Auric, Tailleferre und Durey) sowie deren Lehrer Erik Satie entspricht Da und dort hört man Anklänge an den Strawinsky der neoklassizistischen Periode sowie an Kurt Weills „Mahagonny“, besonders im Parlandogesang und in den Chören. Die für Blacher typischen, von ihm erfundenen „Variablen Metren“ konnte ich beim ersten Hören nicht entdek-ken, wohl aber zahlreiche polytonale Passagen.

Diese Musik mit ihren meist parodi-stisch zitierten Märschen, Walzern,Polkas und Galopps ist leicht und angenehm zu hören, aber schwer zu exekutieren Die Einstudierung war einem Meister des „neuen Faches“ anvertraut: Ernst Märzendorfer, dem präzis taktierenden und stets animierend wirkenden Dirigenten, dem wir in früheren Jahren so viele vorbildliche Aufführungen neuerer und zeitgenössischer Musik zu danken haben.

Da nicht nur das Orchester und die Solisten, sondern auch Chor und Ballett (Franz Gerstacker und Gerhard Senft-Choreographie) gut einstudiert waren, hatte das „Preußische Märchen“ in der witzigen und einfallsreichen, den Gesamtcharakter genau treffenden Regie Wolfgang Webers einen eindeutigen Publikumserfolg. -Und da fragte man sich dann am Schluß, durch welche Unbilden unseres Konzert- und Theaterbetriebs Blachers Werke so selten - oder mit so großer Verspätung - zu hören und zu sehen sind. (Das „Preußische Märchen“ wurde bereits 1952 also vor 25 Jahren, in Berlin uraufgeführt.)

Boris Blacher, einer Familie des deutsch-baltisch-russischen Kleinadels entstammend, 1903 im chinesischen Njutschwang am Gelben Meer geboren, seit 1922 Wahlberliner (aber waschechter!) und zu Beginn des Jahres 1975 gestorben, ist ein typischer Vertreter der Zwischenkriegsgeneration. Auch als Komponist steht er durchaus zwischen allen Schulen und Richtungen In seinem gesamten Werk finden sich keine Spuren der Spätro-matik, auch kaum „Anschlüsse“ an die Wiener Klassik und Romantik, und kaum Berührungspunkte mit der Do-dekaphonik. „Eramus erat homo pro se“ - das kann man auch von Blacher sage. Sparsam im Detail, war Blacher einer der formenreichsten Musiker seiner Zeit. Und auch wer sein Werk zu kennen glaubte, war verblüfft über das im Volksopernprogrammheft abgedruckte Opusverzeichnis: Es umfaßt mehr als sieben Druckseiten, auf denen über 150 Werke verzeichnet sind, darunter etwa ein Dutzend abendfüllende Opern und Ballette. / Und was bieten unsere Konzertprogramme und Spielpläne? Fast nichts. Dabei hätte gerade Wien gute Gründe,sich Blachers zu erinnern. Für die Neueröffnung der Staatsoper im Jahr 1955 schrieb er das große Ballett „Der Mohr von Venedig“, und für die Wiener Konzerthausgesellschaft ein bedeutsam-ergreifendes „Requiem“. Und in Wien wirkt sein talentiertester Schüler, Gottfried von Einem, dem er mehr war als nur ein vorzüglicher Lehrer.

Wenn so ein Künstler, schon durch seine Geburt zum Weltbürger bestimmt, in vielen internationalen Gremien tätig, seit 1961 auch Leiter der Musiksektion der Akademie der Künste in Westberlin, diese Welt verläßt, so gehört es sich auch, besonders in unserer Zeit, zu bezeugen, daß er zur Freundschaft begabt war wie kaum einer in seiner „Branche“, wo es so viele Ehrgeizige, so viele Neider und Mißgünstige gibt. Nicht mehr wahrscheinlich, als anderswo. Aber immerhin.

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