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Komponist und Kosmopolit

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Prof. Boris Blacher, Direktor der Hochschule für Musik und Vizepräsident der Akademie der Künste in Berlin, Präsident, Vorsitzender und Direktor vieler in- und ausländischer Gremien, Komponist und Pädagoge von Weltruf, der vor kurzem seinen 65. Geburtstag beging, zählt in der Reihe der international gewerteten Vertreter in Sachen Musik nach dem zweiten Weltkrieg als hervorragender Repräsentant des westlichen Deutschlands.

Der einzige Sohn deutsch-baltischer Eltern kommt in der chinesischen Stadt Niuchwang am Gelben Meer zur Welt. In einem gesellschaftlich regen und weltanschaulich aufgeschlossenen Elternhaus wächst der schlanke, blasse Jüngling vielsprachig heran, muß wegen des häufigen Ortswechsels aus Berufsgründen des Vaters mehrere Schulen besuchen und kommt frühzeitig mit der Musik in Berührung. Das alles ereignet sich dahinten in Sibirien, am Baikalsee, in Mittelchina, in der Mandschurei, in kleinen und großen Städten.

Blacher will Musik studieren. Doch das lehnt der Vater strikt ab. Die musische Veranlagung seines Sohnes jedoch anerkennend, stimmt er der Wahl des Architektenberufes zu und schickt ihn und seine Frau auf eine Schiffsreise um die halbe Welt, bis sie über Marseille und Paris in Berlin ein- treffen, wo sich Blacher an der TH zum Studium immatrikuliert. Doch welcher geistig wache sensible junge Mensch aus den sibirischen Einsamkeiten in das gleißend glitzernde Fluidum Berlins von 1922 versetzt, hätte der verwirrenden Vielfalt von Eindrücken aus Konzerten, Opern, Theater, Film, Kabarett, Ausstellungen neben vielem anderen widerstehen können. Angeregt von allem, was er erlebt, wird sein sehnsüchtiger Wunsch wieder wach; nach dreijährigem Studium hängt er die Architektur an den Nagel und wechselt zur Musik über. Prompt sperrt der Vater die monatliche Unterstützung. Die Mutter verläßt ihn und kehrt in ihre Heimat, das Baltikum, zurück. Als Zweiundzwanzigjähriger steht Boris Blacher plötzlich allein und mittellos, nur auf sich selbst gestellt in einer fremden Welt. Und er geht seinen Weg.

Fleißig studiert er bei dem Professor Friedrich E. Koch das solide musikalische Handwerk. Kleine Broterwerbsarbeiten halten ihn kümmerlich über Wasser. Erste Kompositionsversuche zeigen sofort seine unverwechselbare Handschrift. Der architektonisch geschulte Intellekt läßt ihn das Formale spielend beherrschen. Er ist ein Feind des Aufwandes und jeder überflüssigen Zutat, der klanglichen oder gar gefühlsmäßigen Hypertrophie. Eine unterkühlt-gläserne Transparenz, eine feingesponnene und bis zur Kargheit ausgesparte Durchsichtigkeit zeichnet das Notenbild und den Klang seiner Werke aus. Jede seiner Schöpfungen ist originär, ist geistvoll, abstrakt, formal meisterhaft gebaut, klanglich apart, durchleuchtet, in höchster Kunstform unterhaltend. Der Verlag Bote & Bock nimmt ihn auf, namhafte Dirigenten setzen sich für ihn ein. Auch das Ausland horcht auf, als seine „Concertante Musik” in der Berliner Philharmonie nach spontanem Beifall eine Wiederholung erfährt. Nach 1945 endlich beginnt Blachers schöpferisch große Zeit, entstehen die Opern, die großen Ballette, die Oratorien, das Requiem, die Vielzahl der Kammermusik und Solistenwerke. Seine Interessen auf allen Gebieten der Musik sind wach bis zur Elektronik. Schüler aus aller Welt strömen zu ihm nach Berlin. 1948 beruft ihn Werner Egk an die Hochschule für Musik als Professor für Komposition. Nach dessen Abgang wird Boris Blacher Direktor dieses Institutes. Der Mentor einer großen Schülerzahl und einer heranwachsenden musikalischen Generation.

Die Deutsche Oper Berlin und die Berliner Akademie der Künste haben in einer Matinee den Künstler und Menschen Boris Blacher zu seinem 65. Geburtstag geehrt. Generalintendant Sellner überreichte ihm in humorgewürzter Ansprache die Ehrenmitgliedsurkunde der Deutschen Oper Berlin. Professor Hans Heinz Stuckenschmidt sprach in sublim formuliertem Vortrag die Laudatio. Der Jubilar konnte sich nach der Aufführung seines Balletts „Hamlet” für die lebhaft-herzliche Akklamation des Publikums allein und im Kreise aller Beteiligten wieder und wieder bedanken.

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