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Kann der deutsche Film besser sein?

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Im deutschen Fernsehfunk fand eine Diskussion zwischen Vertretern der Filmwirtschaft und Vertretern des Filmpublikums statt. Das Thema konnte nicht interessanter lauten: Kann der deutsche Film besser sein? Die Veranstalter setzten bei dieser Formulierung, bewußt oder unbewußt,- voraus, daß schließlich ein jeder sittlich wertvolle Mensch vom Streben nach dem Besseren schlechthin erfüllt ist. Um so peinlicher mußte es dem Beobachter der Diskussion erscheinen, daß gleich zu Anfang einige Filmleute zu beweisen suchten, der deutsche Film sei schon gut genug. Das Publikum wolle ihn so. Wenn er noch besser sein sollte, brauche man mehr „Kapital“ und zudem die Garantie der Kosteneinspielung. Also sei unbedingt die Senkung der Vergnügungssteuer zu fordern usw. — Schade um soviel vergeudete Redezeit! (Das gilt auch und besonders für den Diskussionsleiter!) Aber die „Vertreter der Filmwirtschaft“ verfolgten in „vorbildlicher Weise“ ihren Zweck: Die schüchterne Gegenseite kam kaum zu Wort.

Die Themastellung erforderte zunächst einmal, eine Definition des guten Films zu geben. Aber ein guter Film schien nach der vorherrschenden Auffassung ein echter Problemfilm nach der beliebten deutschen Bohrwurmmethode zu sein, also ein Film, den keiner sehen mag, weil die Probleme in inhaltschweren Dialogen hinter der Leinwand geistern, statt ins Bild gesetzt zu werden, weil ein wahr empfundener seelischgeistiger Gehalt in die filmgemäße künstlerische Form gegossen werden muß, um den Anspruch des guten Films zu begründen. Das spezifisch Filmische ist doch gerade die rasche Bilderfolge, die Bewegungen schaffen kann (wie besonders im Trickfilm) und die Bewegungen nachgehen kann, weil sie an keinen Theaterraum gebunden ist. Der Kriminalreißer „Rififi“ ist ein Schulbeispiel für die filmgerechte Verfilmung einer gut gemachten Story. Da kommt man 20 Minuten ganz ohne Worte aus! Die besonderen Möglichkeiten des Films liegen naturgemäß aber auch in der Gestaltung der Wirklichkeit hinter den Dingen, der Wirklichkeit unserer Träume,

Gedanken und Empfindungen. Filmgerecht ist es, wenn wir zum Beispiel die Träume der kleinen Französin in Daddy Langbein durch Bilder, nicht durch Worte erfahren. In der Pionierzeit des Films spielte nicht das Naturalistische, sondern das Phantastische. „Unwirkliche“ die maßgebende Rolle. In der Diskussion schien es, daß man dies alles vergessen hat, und nur am Schluß kam man mit Hilfe eines Publikumsvertreters an dieses Kernproblem heran, aber auch nur für eine Minute.

Die besonderen Anlagen des Films haben ihn 2u einem künstlerischen Element von außerordentlicher Breitenwirkung gemacht. Ein guter, „filmgerechter“ Film wird jeden bezaubern oder erschüttern, denn Probleme, die wir mit dem Auge, unserem empfindlichsten, am intensivsten wahrnehmenden Sinnesorgan sehen können, sind für jeden verdaulich. Vielleicht haben gerade deswegen weite Kreise der Intel-

lektuellen den Film, ein legitimes Spätkind unserer Kultur, als Wechselbalg abgelehnt. Und es ist nicht verwunderlich, daß sich in seinem Bereich viel Kitsch und Lüge angesammelt hat. Wir sind der Meinung, daß die unglückliche Struktur der deutschen Filmindustrie, ihre Beherrschung durch die Verleihfirmen, den Charakter des Films verdirbt. Denn wo ein geistiges Produkt ganz und gar zum Geschäft wird, werden die künstlerischen Produzenten von den halbgebildeten Ellenbogenstarken, werden die künstlerischen Autoren von den betriebsamen Vielschreibern, den geistigen Schlittschuhläufern, verdrängt.

Aber was sollen wir machen? Wieder nach einer staatlichen Filmanstalt im Stile der Ufa schreien oder gewohnheitsgemäß abwarten? In einem werden wir uns jedenfalls von den wirtschaftlichen Interessenvertretern des Films nicht täuschen lassen, daß nämlich die Qualität eines Films von einer guten wirtschaftlichen Grundlage abhängig sei. Rosselini drehte seinen ersten Film „Rom — offene Stadt“ mit geringsten Kosten und unter großen persönlichen Opfern der

mitwirkenden Künstler Immer hat sich erwiesen, daß ein wirklich guter, das heißt auch ein filmgerechter Film zugleich ein Kassenerfolg war. Niemand, auch nicht die Filmklubs und die erfreulicherweise immer zahlreicher werdenden echten Filmkritiken, nehmen den Produzenten ihre Verantwortung für die Qualität des deutschen Films, dem leider insgesamt gesehen, sein regelmäßiges Stammpublikum sowieso gesichert ist. Weshalb klagen die Produzenten und Verleiher über die schlechte Ertragslage, weshalb dehnen sie zugleich die Produktionszahl (von 120 im alten auf 150 im neuen Jahr) ebenso wie die Gagen aus?

Walter Koppel, der Produzent des guten Canaris-Films, hat recht, daß die Qualität des deutschen Films abhängig sei vom Anspruch des Publikums und dem Wollen der Produzenten. So gesehen, liebe Produzenten, verehrtes Publikum, könnte der deutsche Film zu jeder Zeit besser sein; wenn er nicht sein kann, so könnte er aber. -

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