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Alles unter Kontrolle

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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Das beginnt bei der Geburtenkontrolle und endet bei der „kontrollierten Auflage“ der Zeitungen. Und noch besser ist es, wenn vor Kontrollen gewarnt wird, damit man nur etwas Unkontrolliertes tut, wenn es auch wirklich unkontrolliert bleibt… Mit dem Warnschild „Achtung, Radarkontrolle!“ unmittelbar vor Geschwindigkeitsüberprüfungen

wurde ja im Jahr 1983 nur ein ganz bescheidener Ansatz gemacht, Kontrollen anzukündigen.

Aber bald war klar, daß nicht nur zu schnell „gleitende“ oder „hetzende“ Autofahrer ein Recht darauf haben, zu wissen, wo sie kontrolliert werden, sondern natürlich auch jeder andere Bürger in anderen alltäglichen Situationen.

Zunächst wurde die Warnung vor Radarkontrollen nicht nur optisch am Straßenrand, sondern auch akustisch via ORF übermittelt: „Düdldü, düdldü, ORF-Ver- kehrsdienst — auf folgenden Straßenabschnitten werden heute Radarkontrollen durchgeführt: auf der B 117, der ehemaligen Triester Bundesstraße, im Raum Gloggnitz …“

Ähnlich wurde natürlich auch bei Alkoholkontrollen verfahren, wobei — auf Wunsch der Weinwirtschaft — hinzukam, daß der Standort von Alkoholkontrollen in den nächstgelegenen Lokalen angeschlagen werden mußte, damit im Notfall eine andere Fahrtroute gewählt werden konnte. Die Weinwirtschaft hatte ja auch verhindern können, daß auf Alkoholplakaten eine ähnliche Warnung wie bei Zigarettenwerbung stehen mußte („Warnung des Gesundheitsministers: Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden!“).

Dafür war es den Gewerkschaften gelungen, auf Plakaten der Umweltschützer folgenden Zusatz anzubringen: „Warnung der Gewerkschaften: Umweltschutz kann Arbeitsplätze gefährden!“

Längst mußte natürlich vor Leistungskontrollen im Schulbereich rechtzeitig schriftlich gewarnt werden. Einkommensteuerzahler mußten vor Ausfüllen der Einkommensteuererklärung ausdrücklich darauf hingewiesen werden, wenn eine genaue Kontrolle der Steuererklärung ins Auge gefaßt war. Supermärkte und Warenhäuser hatten jene Gänge besonders zu markieren, in denen Kontrollore gegen Ladendiebstahl eingesetzt waren.

An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel mußte aus-

gehängt sein (und zusätzlich mehrmals pro Tag über Lautsprecher verkündet werden), zu welchen Zeiten Kontrollore am Werk sein würden. An Briefkästen mußte stehen, bei welchen Aushebungen wirklich das richtige Porto kontrolliert würde.

Wollte die Exekutive irgendwo eine Razzia oder Hausdurchsuchung durchführen, so war dies selbstverständlich vorher via ORF und amtliche „Wiener Zeitung“ (sie erreichte dadurch plötzlich eine gigantische Auflage) bekanntzugeben. Das gleiche galt für Kontrollen des Rechnungshofes oder der Kontrolläm- ter lokaler Gebietskörperschaften.

Verpönt war allerdings die Warnung vor manchen anderen Dingen. So stand auf keinem TV- Gerät „Vorsicht, ORF-Pro- gramm!“ und an keinem Personalbüro für den öffentlichen Dienst „Achtung, Parteibuchkontrolle!“, aber die Leute machten sehr schnell ihre Erfahrungen.

Indes konnte sich der Innenminister mit einer stolzen Bilanz in die Brust werfen: Dort, wo seine Organe kontrollierten, seien nur mehr 0,34 Prozent der früheren Gesetzesverletzungen festzustellen, man habe „alles unter Kontrolle“.

Während nun militante Tierschützer dafür plädierten, über Mausefallen für Mäuse gut lesbare Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht, Mausefalle!“ anzubringen, setzte bereits massiv die

Gegenbewegung ein, denn außerhalb der markierten Kontrollbe- reiche ging es drunter und drüber.

Da half man sich mit einer Lösung, die zuerst die Sonntagszeitungen bei ihren Selbstbedienungsständen praktizierten: es wurde einfach überall eine Kontrolle angekündigt, auch wenn sie in der Praxis nur genauso vereinzelt durchgeführt wurde wie vorher.

Das führte aber wieder zur Ausgangssituation, daß keiner genau wußte, ob und wo er kontrolliert würde, weil das ganze Land mit Kontrollwarnschildern übersät war. Ein unerfahrener Volksvertreter schlug daraufhin vor, alle Warnschilder einzuziehen. Der Bürger habe eben immer und überall damit zu rechnen, daß die Einhaltung der Gesetze kontrolliert werde.

Dieser Vorschlag wird noch geprüft. Man erhofft sich Aufschlüsse von einem Meinungsaustausch mit dem Botschafter der Republik Schilda, wo man über einschlägige Erfahrungen verfügen soll.

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