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Am Roten (Ballhaus-) Platz

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Der Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich übt sich weiter in neutralistischen, also prosowjetischen Fleißaufgaben. Bereits im Juli 1970 hatte er die nur vom Ostblock dringend gewünschte Sicherheitskonferenz urgiert, obwohl eine solche Veranstaltung nicht weniger als eine Kapitulation der freien Welt bedeuten würde, sofern deren Staaten nicht erst nach genauester Abstimmung untereinander dem ideologischen Gegner sich stellen; und bei der Gelegenheit hatte er gleich auch für eine beiderseitige Truppenreduzierung plädiert, obwohl davon nur die Sowjetunion profitieren würde, da die NATO rein quantitativ schon beim Minimum hält. Und neuerdings hat Kirchschläger diese an sich schon gefährliche Initiative auch noch gefährlich erweitert, und zwar mit dem — wohl als neuerliche Schützenhilfe für Brandt und Scheel gedachten — Vorschlag, es sollten die Teilnehmer jener Konferenz einen Gewaltverzichtsvertrag schließen.

Nun gehören aber nahezu alle Staaten, die an einer Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilzunehmen befugt sind, zum Verband der Vereinten Nationen, und mit ihrer Beitrittserklärung haben sie die UN-Charta unterschrieben, und mit der Charta logischerweise auch den darin enthaltenen Verzicht auf die „Androhung oder Anwendung von Gewalt“. Ein Gewaltverzichtsvertrag besteht also schon zwischen nahezu allen Teilnehmern einer Sicherheitskonferenz, und schon deshalb rennt Kirchschläger offene Türen ein.

Der etwaige Einwand aber, daß die an der Sicherheitskonferenz elementar interessierten und von ihr elementar betroffenen beiden deutschen Staaten nicht Mitglieder der UNO sind und deshalb den in der Charta verankerten Gewaltverzicht nicht unterschrieben haben: dieser Einwand sticht nicht. Denn das Gewaltverbot gehört seit einem Viertel Jahrhundert zum allgemeinen Völkerrecht; als ein allgemeines Prinzip gilt es auch unabhängig von der Satzung, also auch für Nicht-mitglieder — ganz abgesehen davon, daß die Bundesrepublik Deutschland sich 1954 in völkerrechtlich verbindlicher Form zu den Grundsätzen der UNO und insbesondere zu dem in Artikel 2, Absatz 4 der Charta formulierten Gewaltverzicht bekannt hat. Was aber geltendes Recht ist, bedarf keiner je und je neuen vertraglichen Fixierung — wie ja auch im bürgerlichen Recht beim Abschluß beispielsweise eines Arbeitsvertrages die übergeordneten Rechtsnormen nicht erst ausgehandelt, sondern als gültig vorausgesetzt werden.

Wer beim heutigen Stand des Völkerrechts den Abschluß spezieller Gewaltverzichtsverträge propagiert, bekundet damit seine Geringschätzung der UNO und trägt aktiv zur weiteren Abwertung der Weltorganisation bei. Und in letzter Konsequenz beschleunigt er damit den Abbau der globalen Friedenssicherung zugunsten der von den Sowjets angestrebten, die freie Welt natürlich zersplitternden Systeme kollektiver Sicherheit; er riskiert den Rückschritt in die Zwischenkriegszeit. Und wie damals würde auch dann wieder Österreich unter den ersten Opfern sein.

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