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Armes 10. Bundesland

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Juristisch die ungefähr 350.000 zu erfassen und sie definierend zu klassifizieren ist nicht schwer: „Auslandsösterreicher ist, wer sich dauernd oder auf unbestimmte Zeit im Ausland aufhält und dort, sei es durch Arbeit oder anderswie seinen Unterhalt bestreitet und weiterhin seine österreichische Staatsbürgerschaft beibehält.“ Diese Definition umfaßt alle; die, die in den zwanziger Jahren aus wirtschaftlichen Motiven, 1943 und 1938 aus politischen und rassischen Gründen ihre Heimat verließen, aber auch die, die nach dem zweiten Weltkrieg des höheren Verdienstes und unkomplizierterer Aufstiegsmöglichkeiten wegen ins Ausland gingen. Ein breites Spektrum, vom Hilfsarbeiter in München bis zum Hochschulprofessor in Los Angeles etwa, zusammengehalten durch die offizielle Bezeichnung .^Zehntes Bundesland“.

Der Sog ins Ausland ist heute auch stark: vor allem Deutschland und in geringerem Maße die Schweiz ziehen Österreicher, vornehmlich Techniker und Künstler, an. Die gezielte Auswanderung ersetzt „das Weggehen um jeden Preis“. Der finanzielle Anreiz, die bessere technologischen Arbeitsmöglichkeiten motivieren zu 90 Prozent die Abwanderung; und nur wenige zieht es in exotische Länder, um Abenteuerlust zu stillen.

Da für Österreicher im Ausland keine Meldepflicht besteht und sie nicht verpflichtet sind, Konsulate und

Botschaften über ihren Aufenthaltsort zu informieren, ist die Verbindung mit der Heimat schwierig. An die Stelle der offiziellen Auslandsvertretungen treten die Österreich-Vereine. Diese, insgesamt 120, meist nach dem zweiten Weltkrieg aus Hilfsorganisationen entstandenen Vereinigungen sind die Nabelschnur zur Heimat. Neben Filmvorführungen, Vortragsabenden, Diskussionen und der Organisation des „Wiener Opernballes“, der inzwischen von Sidney bis Reykjavik gepflogen wird, ist das Hauptanliegen dieser Vereine die Information über österreich; die Zertrümmerung der weitverbreiteten Meinung: Österreicher sei, wer als Sängerknabe geboren, nach dem Stimmbruch als Lipizzaner durch eine heile Welt tänzelt. Geboren aus einer echten Emigrantensituation, ist etwa die Bereitschaft, in exotischen Ländern einem der Österreich-Vereine beizutreten, naturgemäß größer als zum Beispiel in München, wo, nimmt man das Umland dazu, ungefähr 150.000 Österreicher leben.

Freilich wird das Bemühen der Ausgewanderten um ihre Heimat nicht immer honoriert: bis heute haben diejenigen Österreicher, die sich zum Zeitpunkt einer Wahl nicht innerhalb der österreichischen Grenzen aufhalten, kein Wahlrecht. Das erscheint vielen, vor allem denen, die nur einige Jahre im Ausland arbeiten und dann zurückkommen wollen, denen also die politische Entwicklung Österreichs nicht gleichgültig geworden ist, unbillig. Schon lange diskutiert man daher, ob den Auslandsösterreichern die Ausübung ihres Wahlrechtes nicht etwa in Form der Briefwahl oder der Wahl im Konsulat ermöglicht werden sollte.

Aber man diskutiert nur. Beide Parteien, fixiert auf ihren augenblicklichen Besitzstand, fürchten offenbar, dem jeweiligen Gegner einen (wahlentscheidenden) Vorsprung einzuräumen. So bleibt alles beim alten, blieb es auch anläßlich der jüngsten Novellierung der Wahlordnung, die doch unter dem Titel der Wahlgerechtigkeit stand.

Als Kompensation für die Verweigerung eines Grundrechts fordern die Auslandsösterreicher-Vereine wenigstens ein Anhörrecht für Gesetzes- vorlagen, ein Recht, das den Kammern und Interessenvertretungen zusteht. Bundesminister Kirchschläger versprach nur vage, anläßlich der jüngsten Auslandsösterreichertagung in Graz, die Auslandsösterreicher über Gesetze, die sie interessieren oder betreffen, zu „informieren“ und sich dafür auch bei den anderen Ministerien einzusetzen.

Trotzdem bleibt die Forderung nach Gewährung des Wahrechtes bestehen, denn schließlich lebten und leben nicht die Uninteressiertesten im Ausland: Musiker, Bildhauer, Architekten, Literaten. Und immerhin 9 Nobelpreisträger …

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