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Aus Handeln wird Kultur
Unser Leben ist geprägt von atomgleicher Arbeitsteilung. Probleme betrachten wir nur in winzigen Teilbereichen, unsere Lebens-um-welten sind aber ein Ganzes. Der Fehler im Teilbereich führt zur Störung des Ganzen. Die Herausforderung ist, das Leben und unsere Möglichkeiten der Lebensbewältigung als dynamischen Prozeß zu sehen. Der Prozeß verlangt, Ursachen und Wirkungen als einander wechselseitig ergänzende Vorgänge zu verstehen.
Mit Kultur bezeichnen wir die Art der Pflege, der Gestaltung und der Ordnung unserer Umwelten. Eine solche Kultur ist das Ergebnis unseres alltäglichen Handelns, keine schöngeistige Norm. Mit dem Handeln tragen wir alle zur Kultur bei, sie entsteht erst dadurch.
Weil wir erkennen, daß die Probleme nicht in Alleingängen bewältigbar sind, helfen wir einander. Nicht Konkurrenz sondern Gemeinsamkeit wird von uns verlangt. Die Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln prägt die Gesellschaft und damit das private und öffentliche Leben in ihr.
Wenn sich die Wissenschaften als Werkzeuge zum besseren Verstehen unserer Lebens-um-welten begreifen, werden sie nicht (wie vielfach) Selbstzweck sein, sondern Hilfe zu unserer Orientierung. Wir erwarten von ihnen Anleitung zum Entwickeln der uns eigenen Fähigkeiten, andererseits wird unser Handeln ihr Forschungsgegenstand sein. Die Wissenschaften könnten der Antrieb zu größerer politischer Achtsamkeit, zur Entwicklung eines selbstbestimmten demokratischen Engagements und zu einer menschlich-verantwortlichen Selbstkontrolle sein. Entscheidend wird für uns, daß die Wissenschaften versuchen, von uns zu lernen und unsere Sprache zu sprechen.
Das Bauen ist ein Beispiel für die Verflechtungen, mit denen wir rechnen müssen. Neben bautechnischen Fragen treten die Fragestellungen der Orts-, Regional-, Finanz- und Verwaltungsprobleme. Wenn Bauen als unser kulturelles Handeln verstanden wird, sind auch alle Fragen zwischenmenschlicher Beziehungen, der Ordnung unseres Zusammenlebens heute und in der Zukunft, Gegenstand und Anliegen unseres Wissens vom Bauen. Wir erwarten uns Hilf e aus zahlreichen anderen Wissensbereichen, etwa aus der Erkenntnistheoretischen Physik, der Kommunikationsforschung und Informationstheorie, der Kulturanthropologie, der Kultur- (Geistes-) Geschichte, der Pädagogik, der Psychologie, der Soziologie, der Verhaltens-Erforschung und der Wohnmedizin.
Mit Hilfe von Absprachen, Vereinbarungen und Regelungen, die unserer konkreten Fragestellung entsprechen, eröffnen wir unseren Handlungs-Spiel-Raum. Die Anwendung der Spiel-Regel erlaubt einerseits die Willkür des Handelns zu begrenzen, andererseits das spielerische Ausprobieren. Ungewohntes und Neuartiges wird geschaffen und zugleich auf seine Sinngerechtigkeit für uns überprüft.
Unser Handeln wird zu einem „Handeln auf Probe", Unvollkommenes, Vorübergehendes, Nicht-Perfektes entsteht und wird unsere Spiel-Regel auf „Richtigkeit" und „Falschheit" überprüfen. Unsere Spiel-Regel wird sich verändern.
Weil wir die Unvollkommenheit unseres Handelns erkennen, werden wir nach- und weiterdenken. Nach- und Weiterdenken am Unvollkommenen wird gegenüber unserer heutigen Praxis der „klaren Lösungen durch Spezialisten" einen politischen Wert für uns erhalten und sich in das vielfältige System unseres politisch-sozialen Handelns einfügen.
Unser Zusammenleben können wir durch Absprachen (Spiel-Regeln) gestalten. Sie können aus zwei Grundüberzeugungen entstehen:
• Die Absprache schließt alle denkmöglichen Entwicklungen (besonders Gefahren) von vornherein ein, dann brauchen wir viele Absprachen und unser freies Handeln wird erschwert.
• Die Absprache regelt nur das wirklich Notwendige, dann brauchen wir wenige und unser freies Handeln wird erleichtert.
Wenn wir uns, mit Wissen und Verantwortung, für den zweiten Weg entscheiden, können wir den Sinn unserer Absprachen (Spiel-Regeln) wieder verstehen. Wir werden dann auch erkennen, wann wir das Recht und die Pflicht haben, unsere vorläufigen Grenzen zu überschreiten.
Unsere Absprachen erkennen wir als sinnvolle Systeme, die wir unseren jeweiligen Entwicklungszu-ständen anpassen können. So wird es beispielsweise Absprachen über unsere Sprache, über unsere Handlungen, über unser gegenseitiges Verständnis oder etwa im Bauwesen Absprachen über Räume, über formale Ausprägungen und über die erforderlichen Abmessungen geben. Besonders wichtig werden unsere Absprachen, in welcher Weise wir bisherige Absprachen verändern wollen.
Damit bietet sich uns die Möglichkeit, unsere weitgehende Entfremdung in Einbeziehung vieler (vielleicht aller) zu wandeln. Wir können Freiheit in selbstgewählter Begrenzung behalten, das jeweilige Geschehen nachvollziehbar und somit selbstverständlich gestalten. Aus unserem Handeln entwickeln wir unsere Kultur.
Der Autor ist Leiferdes Instituts für Gebäudeplanung an der Universität Karlsruhe und Architekt in Wien.
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