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Bayern von vorne und hinten

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Die Vergangenheit ist das, was nach der Gegenwart kommt. Zuerst steigen wir aus dem Zug — dann werden wir darauf aufmerksam gemacht, daß wir auf historischem Boden wandeln. Und wer immer Bayern liebgewonnen hat, hat sich erst Ihinterlher für dessen Vergangenheit interessiert. Daher sollten sich Neo-Baivariophile erst einmal von Sigi Sommer einwickeln lassen und erst dann nach den bayerischen Klöstern, den Hintengründen der Ko-mödi-Spiele, der fränkischen Gotik oder gar nach den Agilolfinigern fragen.

Soweit ich die bayerische Sprache kenne, hat sie eigentlich kein markantes Wort für Nichtfoayem (wie (Giaur, Barbar usw.) — die Nicht-bayern werden also eingeteilt in Preußen, Zuagraste“ und Urabenenn-bare. Welcher dieser drei bemitleidenswerten Spezies einer auch angehört — der Bajuvarissimus, der auf den büngerlichen Namen Sigi Sommer hört, nimmt ihn bei der Hand und führt ihn auf „Münchner Spaziergänge“, unter welchem Titel nicht weniger als 197 Gschichtln aus seinem unerschöpflichen Fundus zusammengefaßt wurden.

Hat man sich durchgeschmunizelt (ein paar kann man ja auch auslassen), kommt der Kursus für Fortgeschrittene an die Reihe. Obwohl die bereits legendäre Sendereihe des bayerischen Rundfunks „Unibekanntes Bayern“ mefhr als ein Jahrzehnt zurückliegt, hat sie nichts an Aktualität verloren. Das ist ja auch ganz klar, den primo kann, da (siehe oben) die Vergangenheit nach der Gegenwart kommt, erstere mit der Zeit immer nur neuer wenden, se-cundo (und um ernst zu sprechen) werden historische Darstellungen nur durch noch besser geschriebene oder auf noch neueren Forschungen beruhende überholt. Und das ist in diesem Fall bisher einfach nicht gelungen.

„Unibekanntes Bayern“ (zwei Kassetten mit je fünf Bänden) ist ein insofern sehr bayerisches Geschichtswerk, als es einerseits gewaltig weit ausholt, sich anderseits aber augenzwinkernd jeder Systematik entzieht. Ein Haufen von Autoren schrieb einen Haufen von Essays, die gemeinsam den typisch bajuwari-schen Griff mitten hinein ins volle Menschenleben halben, und diese Aufsätze wurden dann unter so reizvollen Gesichtspunkten wie „Bayern in Europa“, ,,Städte am Fluß“, „Das Komödi-Spielen“ oder, um auf die erste der beiden Kassetten zurückzukommen, „Porträts aus acht Jahrhunderten“ oder „Burgen, Schlösser, Residenzen“ (nicht zu vergessen natürlich' die „Wallfahrtskirchen und Gnadenstätten“ zusammengefaßt.

Und die meisten Aufsätze sind, schließlich beruhen sie auf einer Sendereihe, zupackend und, bei aller Fundiertheit, locker und feuilletoni-stisch geschrieben, wie es sich für Geschichten aus der bayerischen Vergangenheit schließlich gehört. Nur als Beispiel nenne ich „Das lustige Elend — vollständiger Lebenslauf des Emanuel Schikaneder“ von Franz Weyr — mit Schikaneder haben ja wir Wiener auch einiges zu tun gehabt. Also eine Stilprobe:

„Er ging 1812 nach Pest, um die Direktion des neuerbauten Theaters zu übernehmen, aiber als er ankam, hatte er völlig vergessen, weshalb er hergekommen war. Die begeisterten Ungarn hielten das zuerst für einen seiner originellen Spaße und lachten sich über seine verzweifelte Ratlosigkeit halb kaputt, bis er einem der Herren den Zylinder eintrieb, höchst ungebührlich zu krakeelen anfing und hartnäckig darauf bestand, nicht Schikaneder, sondern — der Vogelfänger bin ich ja, stets lustig, heißa, hoppsasa —, sondern Papageno zu sein. Da merkten sie erst, daß sie einen Irrsinnigen vor sich hatten ...

Er gehörte zu den ganz seltenen Menschen, die ihren Erfolg nicht dem Glück, sondern der eigenen Tüchtigkeit verdanken. Er hatte so gut wie nichts gelernt, und doch schrieb er mit einer erstaunlich gewandten Fader allein über hundert Bühnenstücke. Das waren nun freilich keine Dichtungen, und vieles ist wie mit dem Holzhammer zusammengehauen. Aber unter diesen Tragödien und Lokällpossen, den großen Opern und den Wiener Volksstücken, den Lustspielen und Ritterdramen ist immerhin auch das Buch, dem wir Mozarts Zauberflöte verdanken und von dem Goethe einmal gesagt hat: ,Es gehört mehr Bildung dazu, den Wert dieses Buches abzuschätzen als ihn abzuleugnen.'“

Vieles in diesen Bänden ist echt bayerisch geschrieben — im besten Sinn: Lustig, leicht, unterhaltend, so, daß man die driinsteckerade Arbeit und Intelligenz nicht merkt.

Denn Bayern ist ja Bayern und nicht... Nun ja, Bayern ist eben Bayern.

UNBEKANNTES BAYERN. Band VI—X in Kassette. Süddeutscher Verlag, München, 1230 Seiten, öS 200,20.

SIGI SOMMERS MÜNCHNER SPAZIERGÄNGE. Mit 63 Zeichnungen von Ernst Hürlimann. Süddeutscher Verlag, München, 3 Bände in Kassette, 813 Seiten, öS 152,50.

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