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Bazillen des Wahnsinns?

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Der politisch Zweck der Wahnsinnstat von Kiriat Schimonen, die Einschaltung der Palästinenser in die nahöstlkhen Verhandlungen — und damit deren Fortgang — zu verhindern, liegt ebenso klar auf der Hand wie die einzig mögliche Konsequenz, nämlich, diese Verhandlungen, — auch mit den Palästinensern, soweit sie verhandlungswillig sind — weiterzuführen. Alles andere wäre ein postumer Triumph der Mörder.

Aber der Massenmord an Frauen und Kindern hat auch eine massen-psychalogische Dimension, die künftig schärfer analysiert werden sollte, wenn man wirklich wissen will, was in den kommenden Monaten und Jahren zu erwarten ist, und nicht nur im Nahen Osten.

Die arabische Welt ist heute ein Herd (aber nur ein Herd) um sich greifenden Wahnsinns, einer kollektiven pathologischen Entwicklung. Die feigen Meuchelmörder, die den israelischen Soldaten aus dem Weg gehen, um Frauen und Kinder zu ermorden (und Feiglinge bleiben, selbst wenn sie sich in die Luft gesprengt haben sollten) — sie sind ja nur eine Seite dessen, was da gegeschieht.

Auf der anderen Seite steht der einhellige Beifall der arabischen Presse, steht, daß es keineswegs nur die arabischen Ultralinken oder die fanatischesten Palästinenser sind, die drei verhetzte Männer, die Frauen und Kinder abschlachten, zu Helden stilisieren. Da nicht anzunehmen ist, daß alle arabischen Journalisten so denken, kann man daraus nur schließen, daß es unmöglich ist, heute in einer arabischen Zeitung anders als begeistert über haarsträubende Metzeleien an Unschuldigen zu sprechen — wenn die Täter Palästinenser und die Opfer Israelis waren.

Fassungslos greift sich eine Welt, die sich für zivilisiert hält, an den Kopf, unfähig, ein solches Ausmaß an Bestialität zu begreifen, unfähig, ein solches allgemeines, uneingeschränktes Ja zur Unmenschlichkeit zu verstehen. Was aber den Wahnsinn vollendet, ist die Tasache, daß es in derselben, sich vor Entsetzen schüttelnden Welt ein paar tausend Kilometer weiter nördlich unmöglich ist, Geschworene zu finden, die noch bereit sind, Massenmörder abzuurteilen, die sich nur durch die größere Perfektion und Effizienz in der Unmenschlichkeit von den nah-östlichen Handarbeitern des Massenmordes unterscheiden.

Die schreckliche Lehre aus diesem Absurdum lautet, daß der Bazillus des Wahnsinns sorgfältig kultiviert worden sein muß, bevor er in solche Weise um sich greifen und alle in einigen Jahrtausenden des Humani-sierungsprozesses aufgebauten Hemmungen schlagartig außer Kraft setzen kann. Lange vor Hitler wurde der Bazillus des Hasses in den Petrischalen des europäischen Nationalismus gezüchtet, und lange vor dem ersten Anschlag auf ein Flugzeug durch Fedayin züchtete ein nicht nur von Arabern bewunderter Rais, Nasser, auf dem Nährboden der Not in den Flüchtlingslagern der Palästinenser den Haß, der heute den Nahen Osten überschwemmt.

Einen Haß, in dem sich Herr Karl nicht erkennen will, wenn er weiterblättert, so ihm noch irgendwo eines der ohnehin mit peinlicher Sorgfalt fortgeräumten Bilder aus Auschwitz unterkommt, murmelnd, das sei doch längst Geschichte, und er habe nichts davon gewußt, Herr Karl, der sich vorsichtig umsieht, wenn ihm das Wort „Saujud“ über die Lippen gekommen ist. Aber auch der Amerikaner erkennt nicht die in den Armen ihrer Mütter abgeschlachteten Indianerkinder in den Toten von Kiriat Schmoneh, und keiner will seinen eigenen Opportunismus im Verhalten der arabischen Journalisten erkennen. Schon gar kein Journalist. Und schon gar keiner in dieser perlenhaften, so leicht aus der Fassung geratenden Stadt.

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