6801999-1971_39_08.jpg
Digital In Arbeit

Beim Friseur…

Werbung
Werbung
Werbung

1260 Millionen Dollar betrug das Defizit der israelischen Zahlungsbilanz im Jahre 1970. 920 Millionen im Jahre 1969. Im selben Jahr vergrößerte sich das private Handelsvolumen um nur drei Prozent, doch die Staatsschulden um rund 500 Millionen Dollar. Ende 1970 war der israelische Staat mit 2620 Millionen verschuldet. Allein die Zinsen für die verschiedenen Anleihen betrugen in diesem Jahr 180 Millionen.

Im Jahre 1970 stieg der Privatverbrauch nur wenig an, die indirekten Steuern und Zwangsanleihen aber um so mehr, so daß die Nettoeinnahmen der Bevölkerung um ein Prozent kleiner wurden, die Ausgaben für Sicherheitsbedürfnisse hingegen um 40 Prozent höher. Es mußte etwas unternommen werden, um Israels Wirtschaft aus dieser prekären Lage herauszulotsen. Die Diskussionen um eine Abwertung wurden in Wirtschaftskreisen schon monatelang geführt, nichts wurde unternommen.

Dann aber war es plötzlich soweit! Die Nachricht von der Dollarkrise erreichte den kahlköpfigen israelischen Finanzminister Pinchas Saphir gerade, als er beim Friseur saß. „Das könnte uns eine Abwertung bringen“, sagte er zum Friseur, der nicht verstand, um was es sich eigentlich handelte. Zwei Stunden später saß Saphir mit Israels Wirtschaftsexperten und Bankdirektoren an einem Tisch und spielte mit ihnen das Sandkastenspiel: „Was wind sein, wenn wir das Pfund abwerten?" Die Wirtschaftskapitäne überlegten lange, die Resultate des Sandkastenspiels waren durchaus nicht einheitlich, doch bei Saphir war bereits beschlossen, was er im Herzen schon lange gehegt hatte.

Alle westlichen Länder überlegten, ob sie ihre Währungen aufwerten sollten. Und was tat Israel? Israel, die kleine Fliege, entschied anders: „Wir werten ab“, lautete die Entscheidung.

Bis dieser Beschluß zur Tat wurde, verging noch fast eine Woche, und in der israelischen Öffentlichkeit wurde das Rätselraten inzwischen fortgesetzt. Es gab welche, die rieten nicht, sondern handelten! Das beste Geschäft machten die Autohändler. Im allgemeinen können sie 14 Tage vor dem Eintreffen der neuen Auto-

modelle ihre alten nicht mehr loswerden, außer sie geben einen Rabatt von fünf bis zehn Prozent pie7 ses Mal waren sie schon zwei Tage vor der Abwertung ausverkauft, und es war kaum ein neues Auto des Modells 1971 in ganz Israel aufzutrei- ben. Viele, die lange gespart hatten, um sich einen TV-Apparat, eine

Waschmaschine oder einen Gasherd zu kaufen, beeilten sich, das nun zu tun. Jeden Tag erschien zwar eine andere beruhigende Nachricht in den Zeitungen, ganz sicher war man aber doch nicht. Und richtig — an einem Samstagabend platzte die Bombe. In den 23-Uhr-Nachrichten hieß es, daß die Regierung soeben zu einer Sondersitzung zusammengetreten sei, um über wirtschaftliche Fragen zu beraten. Um 24 Uhr tagte sie noch immer bei Ministerpräsident Frau Golda Meir. Um r Uhr dös neuen Tages sprach Finanzminister Saphir und verkündete höchstpersönlich die soeben erfolgte 20prozentige Abwertung des Pfundes. Gleichzeitig mit der Abwertung wurde eine vor- geschlagene Gesetzgebung bekannt, wonach Preiswucher auf das schärf-

ste bestraft werden soll. Kein Artikel, der beim Grossisten zum alten Preis gekauft wurde, darf vom Einzelhändler teurer als vor dem 15. August verkauft werden. Kein Grossist darf für seine alten Lagerbestände höhere Preise verlangen. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, ihre Beschwerden beim Konsumentenverband einzubrihgen, und dieser soll sie weiter an das Handelsministerium weiterleiten. Aber solch ein Kontrollapparat ist nicht binnen einer Woche aufzubauen, vor allem nicht in einem Land mit Vollbeschäftigung.

Auch wenn man Israel das „Heilige Land“ nennt, ist es doch ein Land, in dem Menschen aus Fleisch und Blut leben. Und diese rannten so schnell sie nur konnten in die Läden, um das Ersparte und Geborgte so schnell wie möglich an den Mann zu bringen. Der Umsatz der Kolonialwarenhändler stieg innerhalb von zwei Tagen auf das Dreifache.

Einen Tag lang blieben die Banken geschlossen. Als sie ihre Tore wieder öffneten, stellte es sich heraus, daß die Kredite stark beschnitten worden waren.

Auch in den besetzten Gebieten war die Entwertung sofort spürbar. Der jordanische Dinar, der im allgemeinen dort gehandelt wird, stieg um 40 Prozent im Wert. Arabische Händler kamen scharenweise nach Israel, um dort die neuen Preise kennenzulernen und um die ihren dementsprechend zu erhöhen…

Die Tatsache, daß 1300 Millionen Dollar im Jahre 1970 als Investitionen aus dem Ausland nach Israel flössen, konnte die staatlichen Defizite nicht verkleinern, obgleich die einheimische Industrie jedes: Jahr mehr exportiert. Die Sicherheitsausgaben wachsen noch rascher und werden von Jahr zu Jahr größer. Und wer ist der Hauptleidtragende an allem? Der kleine Bürger Israels, der die Steuern zahlt. Er muß die Rechnung begleichen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung