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Opfer und Schulden

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Nach der Wiederwahl Präsident Nixons nimmt man in Israel an, daß Amerika erneute Vorstöße unternehmen wird, um zu einer Beilegung des Nahostkonflikts zu gelangen. Heute geht es aber nicht nur um die Frage, ob ein Friede zustande kommen kann, sondern darum, was jede der kriegführenden Parteien tun müßte und worauf sie zu verzichten hätte, um einen Frieden zu erkaufen.

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Nach der Wiederwahl Präsident Nixons nimmt man in Israel an, daß Amerika erneute Vorstöße unternehmen wird, um zu einer Beilegung des Nahostkonflikts zu gelangen. Heute geht es aber nicht nur um die Frage, ob ein Friede zustande kommen kann, sondern darum, was jede der kriegführenden Parteien tun müßte und worauf sie zu verzichten hätte, um einen Frieden zu erkaufen.

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Kürzlich unternahm die linkssozialistische Tageszeitung „Al-Hamish-mar“ den Versuch, durch Auswertung offizieller Statistiken zu ergründen, was der andauernde Kriegszustand Israel an Menschenleben, Invalidität und Nationaleinkommen eigentlich kostet.

Der offizielle israelische Standpunkt geht jedoch am besten aus den Worten des früheren Generalstabschefs und heutigen Handels- und Industrieministers, Chaim Bar-Lev, hervor, der sagte: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ließe sich eine Regelung erreichen, die wir Frieden nennen dürften, und zwar unter Annahme der alten Grenzen, wie sie bis zum 6-Tage-Krieg bestanden.“ Wenn man annehmen könnte, daß dies das zu erreichende Maximum ist, würde man sofort darauf eingehen. Tatsächlich dürfte aber, wenn Israel an den heutigen Waffenstillstandsgrenzen festhält, am Ende wesentlich mehr zu erreichen sein. Mit anderen Worten: je länger Israel an der Waffenstillstandslinie aushält, desto mehr Aussicht hat es, bei einem zukünftigen Frieden territoriale Zugeständnisse zu erhalten.

Macht sich dieses Ausharren auf die Dauer wirklich bezahlt? Die arabischen Staaten müßten jedenfalls dabei die Einsicht gewinnen, daß sie Israel weder heute noch in Zukunft von der Landkarte streichen können. Die Israelis anderseits müssen sich zur Erkenntnis durchringen, daß sie, wie stark sie auch sein mögen, nie genug Kraft haben werden, den Arabern einen einseitigen Frieden aufzuzwingen.

Israel läßt sich die jetzige Situation viele Opfer kosten, ohne daß bisher der tatsächliche Beweis für die Richtigkeit seiner Taktik erbracht worden wäre.

Im Befreiungskrieg von 1947 bis 1949 kamen mehr als 6000 Israelis ums Leben. Von 1950 bis zum Beginn des Sinaifeldzuges von 1956 waren es 1167 Tote. Im Sinaifeldzug selbst fielen ihrer 193. Von 1957 bis zurr 6-Tage-Krieg von 1967 waren es ihrer 893. Im 6-Tage-Krieg selbsi fielen 744 Israelis. Vom 6-Tage-Krieg bis zum Juni des Jahres 1972 hatte Israel 817 Todesopfer zu betrauern von denen 637 Soldaten waren.

Die Zahl der Verwundeten belieJ sich in dieser Zeitspanne auf 3109 davon 2193 Militärangehörige. Di« Zahl der Kriegsinvaliden insgesamt von der Staatsgründung (1948) bi: heute, beläuft sich auf mehr als 15.000. Auf die Größe der USA umgelegt, würde es sich hier (in der Relation) um 900.000 Tote und um eineinhalb Millionen Verwundete handeln.

Trotz der Feuereinstellung an der Grenzen konnte weder das Massaker in Lod mit 25 zu beklagender Todesopfern, noch jenes von München mit elf Toten, um von weiterer Terroranschlägen zu schweigen, vermieden werden. Nach wie vor forder die jetzige Lage ihren Tribut. Dil Tatsache, daß die arabischen Ver luste größer sind, vermag der Schmerz der Leidtragenden nicht zi verringern.

Der israelische Finanzminister Pinchas Saphir, erklärte vor kurzem daß sich vom 6-Tage-Krieg bis heuti die Sicherheitsausgaben auf mehr al 25 Milliarden Israel-Pfund belaufei hätten. Das Sicherheitsbudget für da heurige Jahr weist den stolzen Be trag von 5,3 Milliarden l£ auf, eil Betrag, der fünfmal so hoch ist wi im Jahre 1966, dem letzten Jahr vo dem 6-Tage-Krieg, und 25 Prozen des Bruttonationaleinkommens ent spricht — dreimal soviel wie in dei USA.

Für die kommenden Jahre veranschlagte man die Sicherheitsausgaben bereits mit 50 Milliarden l£. Diese hohen Sicherheitsausgaben sind der Grund dafür, daß sich die Nationalschuld Israels dauernd vergrößert. Der Staat war gegen Ende des Jahres 1960 mit 650 Millionen US-Dollar verschuldet, 1970 bereits mit 2,6 Milliarden und bis Ende dieses Jahres rechnet man mit einer Staatsverschuldung von 4,2 Milliarden Dollar.

Die Tilgung dieser Staatsschuld, Inklusive aufgelaufener Zinsen, nimmt im Nationaleinkommen immer größeren Raum ein. Auf jeden Bewohner Israels, vom Säugling bis zum Greis, entfallen pro Kopf 1200 US-Dollar Schulden, und für 1973 befürchtet man, daß die Pro-Kopf-Summe auf 1400 US-Dollar ansteigen wird.

Die hier skizzierte Situation erschwert es dem israelischen Staat, jedes Jahr aufs neue zu einem ausgeglichenen Budget zu gelangen. Trotz großer Wohnungsnot mußten die Ausgaben des Wohnbaubudgets drastisch gekürzt werden. Die Einschränkung des Erziehungsbudgets hatte zur Folge, daß das Unterrichtsministerium viele geplante Schulbauten und sonstige Vorhaben nicht ausführen konnte.

Zieht man die fortdauernden menschlichen und finanziellen Opfer für jeden einzelnen Staatsbürger in Betracht, so stellt sich die berechtigte

Frage, ob letzten Endes ein Frieden unter Verzicht und einigen Verlusten nicht doch billiger käme als andauernder Kriegszustand.

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